51. Die Koppelweide.

Der Andershäuser Kuhhirt hütete einst die Kühe auf dem Anger, der sich von Andershausen nach Kuventhal hinunterzieht. Am äußersten Ende desselben ist ein Stück, etwa einen Morgen groß, (bî den öweren slope genannt), welches auch die Kuventhaler als ihr Eigenthum in Anspruch nahmen. Dahin trieb nun auch der Kuventhaler Hirt seine Heerde, und so geriethen hier die beiden Hirten mit einander in Streit. Die Andershäuser kamen ihrem Hirten zu Hülfe, um den fremden Hirten zu vertreiben, aber auch die Kuventhaler blieben nicht zurück. Nachdem so eine heftige Prügelei Statt gefunden hatte, entstand über das bezeichnete Stück zwischen beiden Dörfern ein langwieriger Prozeß, der so viel Geld kostete, daß das ganze streitige Stück davon hätte mit Thalern bedeckt werden können. Endlich war der Prozeß für Andershausen fast schon gewonnen, als eines Tags ein alter Hirt, der in seiner Jugend in Kuventhal bei dem Hirten als Hirtenjunge gedient hatte, von einem anderen Dorfe, worin er jetzt lebte, wieder einmal nach Kuventhal kam und den alten Müller besuchte. Listig fragte ihn dieser, ob er nicht in seiner Jugend manchmal beim oberen Schlupf sein Morgenbrot gegessen hätte, denn so weit habe er doch das Vieh getrieben: wenn er sich dessen entsinne und es beschwören wolle, so wolle er ihm einen Thaler geben. Zuerst stutzte der Hirt, dann aber sagte er, er wolle es beschwören. Darauf fragte der Müller weiter, ob er nicht wisse, wo der andere Hirtenjunge, der ihm damals geholfen habe, geblieben sei, auch dieser solle von ihm einen Thaler haben, wenn er dasselbe beschwöre. Auch dieser wurde ausfindig gemacht, und die beiden alten Hirten beschworen [34] nun, daß sie in ihrer Jugend das Vieh bis zum oberen Schlupf getrieben und dort ihr Morgenbrot gegessen hätten. So verloren die Andershäuser den Prozeß. Da sie sich aber damit noch nicht beruhigen wollten, weil sie die Eide für falsch erklärten, so ward ein Vergleich geschlossen und das streitige Stück für Koppelweide (koppelhauwe) erklärt. Die beiden Hirten aber, welche falsch geschworen hatten, gehen nach ihrem Tode auf dem Anger um. Es kommt nämlich den Leuten, die Nachts von Kuventhal nach Andershausen gehen, hier ein heftiger Wind und ein dicker schwarzer Nebel entgegen, dabei hört man ein lautes Sausen in der Luft. Das sind die beiden Hirten.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. A. Sagen. 51. Die Koppelweide. 51. Die Koppelweide. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BB36-7