12. Hänschen Glasköpfchen.

Es war ein armer, alter Mann, der hatte einen Sohn, der wollte nicht mehr bei seinem Vater bleiben. Er ging also fort, und wie er in den Wald kam, begegnete ihm »die alte Zauberin.« Sie fragte ihn, wohin er wolle; er antwortete, das wisse er selbst noch nicht, er wolle sich eine Herrschaft suchen. Da gab sie ihm eine Lilie und sagte dabei, in der Gegend wäre ein Schloß, mit der Lilie solle er die Thür des Schlosses aufschließen und darin einmal nachfragen, ob sie nicht einen Hausknecht nöthig hätten. [278] Er ging zu dem Schlosse und öffnete es, wie die Alte ihm gesagt hatte. Da nahm man ihn denn auch als Knecht an. In dem Schlosse fand er ein Glas, darin war eine schön aussehende Flüssigkeit; an dem Glase aber stand geschrieben, wenn er die Flüssigkeit an den Kopf wische, so würde dieser vergoldet, aber er dürfe dann die Mütze nicht absetzen. Er bestrich sich damit und bekam einen vergoldeten Kopf. In dem Schlosse war auch ein Gärtner, zu dem ging er bisweilen und half ihm bei seiner Arbeit. Diesen bat er, er möge ihm ein Stück des Gartens abgeben, er wolle sich hübsche Blumen darauf pflanzen. Der Gärtner erfüllte seinen Wunsch. Nun holte er sich Blumen von den Bergen und vom Anger und pflanzte dieselben in seinen Theil. Diese gediehen außerordentlich und wurden viel schöner, als die, welche der Gärtner in seinem Garten hatte. Einst ging die Prinzessin spazieren und bemerkte zu ihrer Verwunderung, daß die Blumen in dem kleinen Garten so wunderschön waren. Am andern Tage stellte sie sich ans Fenster und sah, wie Glasköpfchen in seinem »Pflanzengarten« bei seinen schönen Blumen arbeitete. Zufällig hatte er auch einen Augenblick die Mütze abgesetzt, so daß sie seinen vergoldeten Kopf erblickte. Darauf schickte sie zu ihm und ließ ihm sagen, er solle ihr einmal einen Blumenstrauß bringen. Als er diesen nun der Prinzessin brachte, blieb er in der Stubenthür stehn, warf ihn in die Stube und lief dann wieder fort. Am andern Tage schickte die Prinzessin abermals zu ihm, er solle ihr einen Blumenstrauß bringen; er machte es aber wieder eben so, warf die Blumen in die Stube und lief dann fort. Am dritten Tage schickte sie wieder zu ihm, sagte aber vorher ihrer Kammerfrau Bescheid, die muste sich hinter ihn stellen und ihn, als er den Blumenstrauß hineingeworfen hatte und nun wieder davon eilen wollte, in die Stube stoßen. Als er einmal in der Stube war, fanden die beiden Gefallen an einander und liebten sich. Als der alte König, der Vater der Prinzessin, das erfuhr, war er gar nicht damit zufrieden, konnte sie aber doch nicht dahin bringen, daß sie von einander ließen. Da musten die beiden auf sei nen Befehl nach einem alten Schlosse ziehen, welches in der Nähe stand. Hier kam nach einiger Zeit die alte Zauberin wieder zu Glasköpfchen und brachte ihm drei Lilien. Zugleich sagte sie, dem Könige sei der Krieg erklärt; nun solle er in den Wald gehn, darin stände ein Baum, den solle [279] er mit einer Lilie aufschließen; in dem Baume aber wäre ein Pferd und eine Rüstung (mundêrunge), die solle er heraus nehmen, damit in den Krieg ziehen und mit fechten. Er that, wie sie gesagt hatte, und fand auch alles so. Darauf zog er mit dem Pferde und der Rüstung in den Krieg und gewann für den alten König die Schlacht. Zur Belohnung für seine Tapferkeit gab ihm dieser einen Reichsapfel. Als nun der Krieg vorbei war, ging er wieder zu dem Baume im Walde, brachte das Pferd und die Rüstung hinein und kehrte dann zu seinem alten Schlosse zurück. Bald darauf wurde dem Könige zum zweiten Male der Krieg erklärt; da schloß er mit der zweiten Lilie einen zweiten Baum auf, aus diesem kam wieder ein anderes Pferd heraus, darin hing eine andere Rüstung, die er nahm und anzog. Damit ging er wieder in den Krieg, gewann abermals die Schlacht und erhielt von dem Könige einen zweiten Reichsapfel. Nachdem er dann das Pferd und die Rüstung wieder in den Baum gebracht hatte, kehrte er zu dem alten Schlosse zurück. Dahin kam auch die alte Königin, um ihrer Tochter zu erzählen, daß ihr Vater gesiegt habe, sah aber dabei ihren Schwiegersohn nicht einmal an, weil er ihr zu arm und zu gering war. Da ward dem Könige zum dritten Male der Krieg erklärt. Glasköpfchen nahm nun die dritte Lilie, schloß damit den dritten Baum auf, nahm aus diesem ein drittes Pferd und eine dritte Rüstung und gewann damit die Schlacht. Der König schenkte ihm nun einen dritten Reichsapfel. Dieses Mal behielt er aber seine Rüstung an, ging damit nach Hause und hängte die drei Reichsäpfel unter der Decke auf. Die alte Königin kam wieder und wollte ihrer Tochter die frohe Nachricht bringen, daß ihr Vater gesiegt habe. Als sie aber den Mann in der Rüstung und die Reichsäpfel am Balken hängen sah, fiel sie fast in Ohnmacht. Die beiden wurden nun »voll Freuden in das Schloß genommen,« und Glasköpfchen erhielt die Krone. Wenn er noch lebt, mag er heute noch regieren.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. B. Märchen. 12. Hänschen Glasköpfchen. 12. Hänschen Glasköpfchen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BBB3-B