I. Zur Symbolik der deutschen Volkssage.
Es ist ein uralter Glaube, der in dem deutschen Heidenthume nicht allein steht (altd. Rel. S. 395. 409), daß das Leben nach dem Tode nur eine, wenn auch nicht erfreuliche Fortsetzung des irdischen ist. Eine ziemlich rohe, aber eben deshalb gleichfalls alte Versinnlichung dieses Glaubens ist die Vorstellung, daß die Todten in der Unterwelt auch essen und trinken, wie sie in der Oberwelt gethan haben. Die Beherscher der Räume, in denen sie leben, erscheinen dann gleichsam als die Gastgeber der Todten, mit denen sie zusammen speisen. Daher bedeutete im Norden der Ausdruck bei Odhinn zu Gaste sein so viel als sterben oder todt sein, und denselben Sinn hat es, wenn in der Egilssaga (S. 603) Thorgerdhr spricht: »ich werde kein Nachtmahl eher halten, als bei Freyja.« Selbst noch in christlichen Zeiten konnte ein deutscher Ritter, welcher dem Tode nahe war, sagen (Livl. Chron. 9350): »ich werde noch heute Nachmittag im Himmel bei unserer Frau (Maria) speisen.«
Mit diesem nordischen und deutschen Glauben hat J. Grimm bereits in Schmidts Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (B. 3, 348. 4, 544) den bekannten Ausspruch des Leonidas: »heute werden wir in der Unterwelt essen« zusammengehalten, und Funkhänel hat darnach im Philologus (3, 150) Sophocles Electra V. 96
so erklärt, daß Ares, der nicht nur ein Gott des Krieges, sondern auch der Unterwelt ist, die Todten bei sich bewirthet.
Ein weiterer Ausfluß dieser alten Vorstellung ist es, daß derjenige, welcher noch als Lebender in das Todtenreich oder in die Gesellschaft unterweltlicher Wesen geräth, sich hüten muß von den Speisen und[373] Getränken, die sie genießen, etwas zu kosten, weil er sonst auf immer der Unterwelt verfallen ist. Diese Anschauung tritt schon in der bekannten griechischen Sage von Persephone hervor, der es nicht gestattet wurde, ganz die Unterwelt zu verlassen, weil sie dort den Kern eines Granatapfels gegessen hatte. Sie findet sich, wenn gleich versteckt, in zahlreichen nordischen und deutschen Volkssagen und soll in Verbindung mit einigen verwandten Symbolen in dieser Abhandlung besprochen werden.
Wir knüpfen unsere Untersuchung zunächst und vorzugsweise an eine Sage, welche Saxo (VIII, 161) erzählt. König Gorm von Dänemark beschloß unter Führung des Thorkill den Aufenthalt des Riesen Geruthus (Geirödh) aufzusuchen, den, wie auch die jüngere Edda berichtet, Thorr mit einem glühenden Eisenkeile durchbohrt hatte. Auf dieser Fahrt, welche in den fernsten Nordosten geht und von Saxo ausführlich beschrieben wird, gelangen die Reisenden in das Land des Guthmundus (Godhmund), eines Bruders des Geirödh, der sie freundlich bei sich aufnimmt. Hinter seiner Freundlichkeit ist aber Tücke verborgen. Thorkill, der das weiß, warnt daher den König und seine Begleiter in folgender Weise. Er verbietet ihnen mit Godhmund und seinen Leuten zu reden, und räth ihnen, als sie in seinem Hause angekommen sind, sich der dargebotenen Speisen und Getränke zu enthalten; sie sollen sich auch abgesondert von den Einheimischen setzen und keinen von ihnen berühren. Wer von den vorgesetzten Speisen koste, der verliere die Erinnerung an die Vergangenheit und müsse immer inter horridos monstrorum greges bleiben. Die Gefährten befolgen zum Verdrusse des Godhmund den gegebenen Rath und essen nur von der Speise, die sie mitgebracht haben. Godhmund bietet darauf dem König Gorm eine seiner Töchter zur Ehe an und erlaubt den Leuten sich an seinem Hofe nach ihrem Gefallen Gattinnen zu wählen. Vier Dänen folgen der Verlockung, verlieren aber alsbald die Erinnerung an die Vergangenheit. Godhmund ladet nun die Reisenden ein die schönen Früchte in seinem Garten sich schmecken zu lassen; als aber auch dieser Versuch sie zu verlocken fehl schlägt, begleitet er sie bis an die Grenzen seines Reiches. Bei der Rückkehr verliebt sich Buchi, einer von den Gefährten, in Godhmunds Tochter. In Folge dessen verliert er die Erinnerung an die Vergangenheit und ertrinkt, als er den König Gorm bei seiner Abreise begleitet.
Hiernach erscheint das Land des Godhmund als ein zauberhaftes und verführerisches. Es werden demjenigen, der dahin kommt, Genüsse [374] verschiedener Art geboten; wer sich aber dazu verleiten läßt und auch nur mit seinen Bewohnern durch Rede oder Berührung in Gemeinschaft tritt, muß immer dort bleiben. Ließe sich nun erweisen, daß dieses Land des Godhmund ursprünglich eine Unterwelt, ein Todtenland wäre, so würde sich nicht nur eine Parallele zu dem Griechischen Glauben ergeben, daß man die Speisen, welche die Unterwelt bietet, nicht genießen darf, wenn man ihr nicht verfallen will, sondern wir würden auch durch die Erzählung des Saxo ähnliche symbolische Züge in deutschen Volkssagen verstehn lernen.
Von Godhmund hat neulich Rußwurm in W. Zeitschr. 1, 430 bemerkt, daß er schwerlich mythisch sei, und Saxos Erzählung als eine spätere in den Hauptpunkten erfundene dargestellt. Es ist dafür aber nur angeführt, daß die Edden den Godhmund nicht nen nen. Dieser Grund könnte nur dann Bedeutung haben, wenn die Edden eine Darstellung des gesammten nordischen Volksglaubens gäben, was bekanntlich nicht der Fall ist. Zudem ist es ein anerkannter Grundsatz in der Mythologie, daß auch eine verhältnismäßig späte Quelle (Saxos Werk ist aber älter, als die jüngere Edda) Mythisches enthalten kann, das vielleicht in höhere Zeiten hinauf reicht, als der Bericht der ältesten schriftlichen Quellen. Was mythisch und alt ist, darüber werden wir vorzugsweise durch das Verständnis der Sagen Aufschluß gewinnen.
Godhmund erscheint nun auch in andern nordischen Erzählungen. Wir sehen hier von der Sage von Thorstein ab, welche Rußwurm a.a.O. besprochen hat, und bemerken nur, daß er in der Hervararsaga als der Beherscher eines glücklichen Landes erscheint, in dem Krankheit, Alter und Tod unbekannt sind. Die Heiden verlegten dahin den Sitz der Unsterblichkeit und verehrten Godhmund nach seinem Tode als einen Gott.
Verschiedene Sagen von einem glücklichen Lande kommen auch sonst im Norden vor (D. Mythol. 783); sie sind nicht erst aus den südlichen Erzählungen von den herrlichen Ländern an dem Ende der Welt in den Norden gebracht, sie beruhen vielmehr auf einer alten mythischen Anschauung.
In den heidnischen Vorstellungen von dem Aufenthalte der Todten durchkreuzen sich nemlich mehrfach zwei ganz verschiedene Ansichten. Nach der einen ist der Aufenthaltsort der Abgeschiedenen ein öder und trauriger, nach der andern ist er äußerst angenehm und lieblich. Hier aus sind später Scheidungen von verschiedenen Räumen entstanden, von denen der eine traurig, der andere erfreulich erscheint. So steht, um[375] nur einiges anzuführen, in dem griechischen Heidenthume der düstere Hades den Inseln der Seligen gegenüber, und in dem Hades unterscheidet man ein Elysium und einen Tartarus. Die deutsche heidnische Sage kennt eine grüne Wiese als Aufenthalt der Guten, die bei Saxo ein Theil der Unterwelt ist (oben S. 339). Das skandinavische Heidenthum hat Walhall, die Unterwelt Odhins 1, zu einem freudenreichen Aufenthalte gemacht, während das Reich der Hel dunkel und unerfreulich ist. Daneben besteht nach der nordischen Anschauung Gimill, der Aufenthalt der Gerechten.
Dieser Gegensatz, wornach die Unterwelt als öde und traurig, dann aber wieder als ein Land voll Reize erscheint, zeigt sich nun auch in der Sage von Thorkills Fahrt zu Geirödh so deutlich wie möglich neben einander. Das Land des Godhmund ist, wie aus dem oben Angeführten erhellt, ein freundliches und reizendes, macht sich aber doch schon dadurch als die Unterwelt kenntlich, daß derjenige, der sich seinen Reizen hingibt, nicht in seine Heimat zurückkehrt, d.h. aus dem irdischen Leben scheidet. Das Gebiet des Geirödh dagegen, welches unmittelbar daran stößt, ist in jeder Hinsicht unerfreulich und düster. Die Reisenden kommen zunächst in eine schwarze Stadt, die einer dunkeln Nebelwolke gleicht (oppidum vaporanti maxime nubi simile). Sie ist von Pfählen umgeben, auf denen abgeschnittene Menschenhäupter stecken; böse Hunde, die beschwichtigt werden müssen, bewachen den Eingang in das enge Thor, zu dem man auf Leitern gelangt. Die Stadt selbst ist voll von Gespenstern. Geirödh wohnt in einem steinernen Hause, das mit einem stinkenden Dunste angefüllt ist. Die Wände sind voll Ruß und Schmutz, der Boden ist mit Schlangen und allerlei Unrath bedeckt; Gespenster (exanguia monstrorum simulacra) sitzen wie todt auf eisernen Stühlen.
Daß hier nur ein Bild der Unterwelt gegeben wird, erhellt schon daraus, daß die Stadt von Geistern bewohnt ist. Zudem ist fast jeder [376] einzelne Zug der Beschreibung der Art, daß er in den Mythen von der Unterwelt der Hel oder in nordischen und deutschen Sagen und Märchen ähnlich wiederkehrt, in denen die Unterwelt versteckt erscheint. Da indes die Verfolgung dieser Züge hier zu weit führen würde, machen wir nur darauf aufmerksam, daß die Reisenden Geirödh an diesem öden Orte mit durchbohrtem Körper und seine Töchter mit durchbrochenen Rücken erblicken, sie also in dem Zustande sehen, in welchem sie noch als Todte fortleben. Der Riese, den Thorr durch den Wurf mit dem glühenden Eisenkeile durchbohrt zur Hel gesandt hat, weilt natürlich in der Unterwelt. Hiernach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Reiseziel des Thorkill und seiner Gefährten eben so die Unterwelt ist, wie bei der von Saxo gleichfalls erzählten zweiten Fahrt, wo er, da König Gorm wissen wollte, in welchem Zustande die Seelen nach dem Tode sich befänden, in das Reich des Ugarthilokus (Loki) dringt. Es ließe sich selbst die Vermutung begründen, daß die beiden Reisen des Thorkill ursprünglich nur Theile einer und derselben Fahrt in die Unterwelt waren.
Noch ist Folgendes hervorzuheben. Von dem Aufenthalte des Geirödh ist das Land des Godhmund durch einen Fluß getrennt, über den dieser die Reisenden geleitet. Als Godhmund sie zu seiner Wohnung führt, erblicken sie einen Fluß, über den eine goldene Brücke führt, und wollen darüber gehn, aber sie erfahren, daß durch diesen Fluß der Aufenthalt der Menschen von der Geisterwelt getrennt werde (eo alveo humana a monstrosis rerum secrevisse naturam), und daß die Sterblichen nicht darüber dürften. Entweder sind nun beide Flüsse an dem Gebiete des Godhmund dieselben, so daß dann das Land des Geirödh geradezu als eine Todtenwelt bezeichnet würde, zu welcher den Lebenden der Zutritt versagt ist, oder wenn man das nicht annehmen will, so liegt doch, was für unsere Untersuchung dieselben Schlüsse gestattet, das Land des Godhmund an den Grenzen der Unterwelt, es bildet einen Theil, gleichsam den Vorhof derselben, und die Sagen, welche sich daran heften, dürfen mythologisch eben so angesehen werden, als würden sie von der Unterwelt selbst erzählt.
Thorkill und seine Begleiter dürfen also in dem Lande des Godhmund nicht essen, nicht trinken, mit den Bewohnern desselben nicht sprechen und sie nicht berühren, weil dieses eine Unterwelt ist. Dadurch fällt nun Licht auf viele deutsche Volkssagen, in denen dieselben Punkte als höchst gefährlich hingestellt werden. Namentlich spricht die deutsche Sage es klar aus, daß ein Lebender, der mit den Geistern verstorbener [377] Menschen in Verkehr kommt und dabei nicht die nöthige Vorsicht beobachtet, dem Tode verfallen ist. Wir lassen aus den vielen Erzählungen, die hierher gehören, eine Auswahl folgen.
Daß man mit Todten nicht essen, auch die von ihnen dargebotenen Speisen und Getränke nicht annehmen soll, zeigen folgende Sagen. Eine Erzählung bei Müllenhoff 236 berichtet: Ein Todtengräber ladet einen Todten zu Gaste, der auch kommt, bei ihm ißt und trinkt und ihn auf den folgenden Abend zu sich einladet. Der Todte führt den Lebenden in ein wunderschönes Gemach, neben welchem ein anderes sich befindet, aus dem eine herrliche Musik (oben S. 357) ertönt. In dieses sieht er viele seiner Verwandten gehn, die ihm aber auf seine Fragen keine Antwort geben. Als er nach seiner Meinung eine Stunde in dem Zimmer zugebracht hat, kommt der Todte wieder und führt ihn zurück. Als der Todtengräber zu Hause gekommen ist, kennt man ihn nicht und es zeigt sich, daß er sechshundert Jahre ausgeblieben ist. Er genießt das heilige Abendmahl und stirbt. Man vergleiche dazu Ostpr. S. 127, wo ein Edelmann Diebe, die an den Galgen gehängt sind, zu Gaste ladet. Sie erscheinen, essen bei ihm und laden ihn darauf über vier Wochen vor Gottes Gericht. An dem bestimmten Tage kommt der Edelmann unschuldig an den Galgen. Obgleich die Sage hier eine andere Wendung bekommen hat, so klingt der alte Glaube, daß es gefährlich ist, Todte zu Gaste zu bitten, doch noch durch. Andere Erzählungen berichten von Geistern, die sich zu einem Mahle versammelt haben; auch hier muß der Sterbliche sich hüten, von ihren Speisen oder Getränken etwas zu genießen. Nach Schöppner 1064 holt die Magd eines Pfarrers von den Geistern, welche nächtlich in der alten Burg Wallenroden beim Mahle sitzen, auf Geheiß ihres Herrn einen Krug Wein. Der Pfarrer, welcher davon trinkt, ist am andern Morgen todt. – Die Tochter eines Wirthes in der Gegend des Rodensteins wird Abends von einem stattlichen Ritter auf eine prächtige Burg geführt, in der geputzte Ritter und Frauen tanzen und zechen. Das Mädchen bittet um einen Trunk. Der Ritter verweigert ihn mit den Worten: »trinke nicht; du kannst nicht trinken, was wir trinken.« Sie leert dennoch einen Becher, worauf sie ohnmächtig nieder sinkt und sich am Morgen darauf allein in den Trümmern der Burg Rodenstein findet. Nach drei Tagen stirbt sie. Nodnagel in W. Zeitschr. 1, 32. – Sehr bekannt ist die D.S. 176 und Müllenhoff 295 mitgetheilte Sage von einem Edelmanne, der zu Flensburg in einem Zimmer übernachtet, das nicht geheuer ist. Nachts [378] erscheint eine Gesellschaft von Geistern, welche sich an eine glänzend gedeckte Tafel setzen und ihm aus einem silbernen Becher zutrinken. Der Edelmann trinkt nicht und ruft Gottes Beistand an; da ist plötzlich der Spuk verschwunden, nur der Becher bleibt zurück. Die Sage verschweigt, was wir nach Analogie der andern Erzählungen hinzusetzen können: hätte er getrunken, so wäre er dem Tode verfallen. Vgl. noch D.S. 278, ferner 106, wo die Geister im Helfenstein zu trinken bieten, Bechstein Thür. S. 1, S. 145. Fränk. S. 161. Meier M. 32. 50.
Es ist aber auch gefährlich, mit Geistern von Abgeschiedenen zu sprechen oder sie zu berühren. Nach D.S. 528 wird der Freiherr Albrecht von Simmern auf der Jagd durch einen Hirsch tief in den Wald gelockt. Dort erscheint ihm ein Mann von schrecklicher Gestalt und führt ihn in ein glänzendes, mit vielen Leuten angefülltes Schloß, nachdem er ihm gesagt hat: »laß dich ihr Schweigen nicht befremden, dagegen rede auch nicht mit ihnen.« Er sieht darauf die Geister seiner Vorfahren anscheinend bei einem fröhlichen Mahle versammelt; nachher verwandelt sich alles in Feuer, Pech und Schwefel. – Der Mönch, der Aigener in den Untersberg führt (Schöppner 5), räth ihm mit den Geistern, die darin hausen, nicht zu sprechen; eben so wird Meier M. 50 davor gewarnt mit Geistern zu reden. D.S. 285 (vgl. DMS. 402) wird berichtet, wie ein Gespenst die Brust eines Mädchens berührt, wovon diese schwarz wird und das Mädchen nach drei Tagen stirbt. Noch gehört D.S. 527 hierher, wo nach dem jetzt von Keller in drei Bearbeitungen herausgegebenen alten Gedichte des Wirtembergers pueh Folgendes erzählt wird. Ulrich, Dienstmann von Würtemberg, findet, als er zum Jagen ausgeritten ist, im Felde eine große Schar von Männern und Frauen, die schweigend dahin reiten und ihm auf seinen Gruß nicht danken. Eine ernste Frau, die zuletzt kommt, eröffnet ihm, daß sie schon vor dreißig Jahren gestorben sei und daß die Leute, die er gesehen, nicht mehr dem irdischen Leben angehören. Sie führt ihn darauf in ihre Gesellschaft, warnt ihn aber von den Speisen, die ihm geboten werden sollten, etwas anzunehmen. Die Geister lassen sich vor einer prächtigen Burg zu einem herrlichen Mahle nieder. Der Ritter hebt einen gebratenen Fisch von der Tafel, wovon ihm alsbald seine Finger verbrennen. Auf das Mahl folgt ein Turnier; auch dem Ritter bietet man ein Pferd, er nimmt es aber nicht an. Als darauf der Tanz beginnt, bietet er der Frau die Hand, fällt aber alsbald wie todt nieder. Die Geister bieten ihm zu trinken, doch [379] die Frau bewahrt ihn davor und macht ihn wieder gesund. Die ganze Erscheinung wird als eine höllische Wirthschaft geschildert: wir erkennen darin das Geistermahl, dem wir schon vorher begegnet sind, und das unten noch einmal in einer andern Form erscheinen wird.
Hierher gehört noch der weit verbreitete Glaube, wovon unsere Sagen mehrere Beispiele liefern, daß man einem Geiste die Hand nicht geben darf, weil diese dann schwarz wird und abfällt; man reicht ihnen deshalb einen Stock, den Zipfel der Schürze u. dgl. Auch gilt es überhaupt für gefährlich einen Geist anzureden (Bechstein Thür. S. 2, 98); man darf selbst nichts davon sagen, wenn man Geister gesehn hat (Bechstein fr. S. 1, 143. M.S.S. 184. 185). Wer solche gesehn hat, lacht nicht wieder (Baader 280. Meier 319), ja es kann ihr Anblick tödten (Harrys 1, 19). Wiederum sprechen die Geister ihrerseits gewöhnlich nicht 2, und man muß sie erst durch Beschwörung zur Rede bringen; auch lachen sie nicht 3. Beides erklärt sich dadurch, daß der Tod ernst und stumm macht.
Haben wir nun, von jener nordischen Odyssee bei Saxo ausgehend, gezeigt, wie das, was in der Unterwelt des Godhmund für gefährlich galt, Essen, Trinken, Sprechen, Berührung eben so in dem Verkehr mit Seelen der Verstorbenen Tod und Verderben bringt, so können wir umgekehrt auch folgenden Schluß machen: wo in Sagen von mythischen Wesen des Heidenthums dieselben Symbole in demselben oder einem ähnlichen Zusammenhange erscheinen, da sind diese als unterweltliche gezeichnet, sie stehn mit Tod und Unterwelt in Verbindung. Das ist nun zunächst bei den Wassergeistern der Fall.
Bei den Wassergeistern läßt sich freilich nur das eine Symbol nachweisen: man darf ihre Speisen und Getränke nicht genießen, sonst [380] bleibt man in ihrer Gewalt, was folgende Sagen zeigen. Die Tochter eines Ritters von der alten Burg Schwarzach wurde einst, als sie am See auf der Wiese spielte, von einer großen Schlange, die aus einem Felsen kam, in den See gezogen. Der Vater ging täglich ans Ufer und klagte. Eines Tages hörte er eine Stimme aus dem See und vernahm deutlich die Worte: »ich lebe, mein Vater, bin aber an die Wasserwelt gebannt; lange habe ich mich gewehrt, aber der erste Trunk hat mich um die Freiheit gebracht; hüte dich vor diesem Trunke.« Der Vater blieb traurig stehn, da traten zwei Knaben zu und reichten ihm aus einem goldenen Becher zu trinken. Er kostete ihn kaum, so stürzte er in den See und sank unter. D.S. 305. – Eine Frau aus Köpenik hat ihre Tochter verloren. Nach zwei Tagen findet sie sie in dem Teufelssee, wo sie halb im Moore steckt. Sie ist frisch und gesund und erzählt, wie ein alter freundlicher Mann jeden Mittag aus dem See gekommen sei und ihr schönes Essen gebracht habe. Sie geht darauf mit ihrer Mutter zu Hause, wird aber bald krank, weil sie sich nach dem See sehnt. Nach wenigen Tagen stirbt sie; der Wassermann hatte es ihr angethan. M.S. 114. – Wir dürfen schon aus diesen wenigen Beispielen 4 den Schluß ziehen, daß die Wassergeister mit der Unterwelt in Verbindung stehn, da, wie bereits altd. Rel. 376. 399 gezeigt ist, nach dem deutschen Glauben der Grund der Gewässer als ein Aufenthaltsort für Todte, zunächst Ertrunkene erscheint.
Nordische Sagen und Volkslieder wissen auch mehrfach von Bergtrollen und geisterhaften Jungfrauen zu erzählen, die Sterbliche aus einem Horn trinken lassen, wodurch sie Vater und Mutter, Himmel und Erde vergessen 5. Die Bedeutung ist hier dieselbe: durch den Trank werden sie an die Geister der Unterwelt gefesselt. Dazu ist die deutsche Sage von dem Oldenburger Horne (D.S. 541. Ndd. S. 314) zu halten, welche berichtet, wie dem Grafen Otto von Oldenburg eine Jungfrau, welche plötzlich aus dem Osenberge trat, ein Horn bot und [381] ihn daraus trinken hieß. Dem Grafen gefiel das Getränk darin nicht, daher schüttete er es aus. Einige Tropfen davon benetzten sein Pferd; wo sie hinfielen, gingen diesem die Haare aus. Hier wird also das Getränk unterweltlicher Mächte als ein giftiges, verderbliches dargestellt, was in den Sagen von Zwergen wiederkehrt, zu denen wir uns jetzt wenden.
Die Zwerge stehn als nächtliche Wesen (oben S. 353), als solche, die den Menschen den Tod bringen können, gleichfalls mit der Unterwelt in Verbindung. Daher darf man denn auch die Speise der Unterirdischen nicht genießen. Ein Mann und eine Frau essen von einem Kuchen, den Zwerge gebacken haben, in Folge dessen sind sie nach drei Tagen todt. Herrlein S. 35. 36. Aehnliches wird N.S. 181 berichtet; vgl. auch Börner S. 209. – Ein Bauer, dem ein Geist (es ist ein Zwerg) auf sein Verlangen einen Kuchen hingestellt hatte, war so klug, ein Stück davon seinem Hunde vorzuwerfen, der sogleich todt niederstürzte, als er es verschlungen hatte. DMS. 403. – Ein Mann, der den verschütteten Eingang zu der Wohnung eines Unterirdischen hergestellt hatte, wird von diesem zu Gaste geladen. Er schlägt aber in der Wohnung der Zwerge die dargebotene Bewirthung aus und nimmt nur ein Butterbrot mit, das er, als er oben angekommen ist, gegen einen Pfahl wirft. Am andern Morgen findet er, daß es kohlschwarz und dick aufgequollen ist. Hätte er es gegessen, wird hinzugesetzt, so wäre er gestorben. Müllenhoff 409. – Einem Jungen wird von den Unterirdischen ein Butterbrot an die Ferse geworfen, die von der Zeit an welk wird. Das. 393. – So wird auch der Gräfin von Ranzau, als sie zu der in Kindesnöthen liegenden Zwergin geführt wird, gerathen, sie möge sich hüten von dem, was ihr etwa geboten würde, zu essen. Das. 443, 2; vgl. D.S. 41. 68. Bei Meier 67 sagt das Erdmännchen zu der Hebamme, die seine Frau entbunden hat, »unser Essen und Trinken schmeckt euch doch nicht, deshalb will ich dir etwas anderes geben.« Dagegen können auch Zwerge die menschliche Kost nicht vertragen. Colshorn 53. – Mehrfach wird auch, analog der Sage von dem Oldenburger Horne, von Bechern erzählt, aus denen Unterirdische zu trinken bieten. Derjenige, der zum Trinken aufgefordert wird, gießt das Getränk aus und bemerkt nachher, daß einzelne Tropfen desselben dem Pferde die Haare weggebrannt haben. Müllenhoff 402; vgl. 403. 506. – Nach einem schwedischen Märchen bei Cavallius S. 355 bieten Däumlinge einem jungen Manne ein Goldhorn; er trinkt daraus, versinkt aber in demselben Augenblicke mit [382] seinem Pferde in die Erde und wird in Stein verwandelt. Daß man mit Zwergen auch nicht sprechen darf, zeigt folgende Sage bei Müllenhoff 457: Ein junger Mensch, der im Freien schlief, hörte die lieblichste Musik (oben S. 357) um sich und erblickte zwei Elbinnen, welche einen Versuch machten, ihn zum Sprechen zu bringen; aber er wuste, daß Gefahr dabei wäre, und schwieg 6.
Dazu stellen wir noch folgende Meinungen, die in dem deutschen Volksglauben verbreitet sind. Wechselbälge, die als Kinder der Zwerge der Unterwelt angehören sprechen, lachen und essen nicht. Müllenhoff 424. – Wer andern von Bergmännchen, die er gesehen hat, auch nur erzählt, muß bald sterben. DMS. 76. – Begebenheiten, die man mit Zwergen gehabt hat, darf man nicht ausplaudern (D.S. 29), namentlich auch nicht von den Gaben erzählen, die sie verliehen haben (oben S. 352). Die Berührung der Zwerge, selbst ihr Blick kann Krankheit und Tod herbeiführen (D. Mythol. 424. 425). Wir erinnern daran, daß, wie oben gezeigt ist, zum Theil dieselben Meinungen in Beziehung auf die Geister der Abgeschiedenen herschen.
Wir wollen nun sehen, ob nicht in der spätern deutschen Sage sich die besprochenen symbolischen Züge auf solche Wesen übertragen haben, die ursprünglich dem Heidenthume fremd waren. Es kommen hier besonders Volksüberlieferungen vom Teufel in Betracht, der als Fürst der Hölle, welche in ihrem Namen noch den Zusammenhang mit der nordischen Unterweltsgöttin Hel bewahrt, Sagen auf sich gesammelt haben kann, wodurch er unterweltlichen Wesen des Heidenthums gleich gestellt wird. Nach unserer Ansicht würde von diesem Standpunkte aus auf manches, was von dem Teufel erzählt wird, mehr Licht fallen, als wenn man ihn, was allerdings auch richtig ist, mit den heidnischen Riesen zusammenstellt. Doch betrachten wir nur das, was mit dem Zwecke dieser Abhandlung zusammenhängt.
Der Teufel ist der Gastgeber der verdammten Seelen, wie nach dem nordischen Glauben die Todten bei Odhinn zu Gaste sind. Daher bietet er nach einer verbreiteten Sage den in die Hölle gelangenden zunächst einen Trunk aus einem Becher, durch dessen Genuß sie ihm und der Hölle verfallen 7. Dieser Glaube steht mit der alten deutschen [383] Sitte in Zusammenhang, daß ein ankommender Gast durch einen dargebotenen Becher willkommen geheißen wird. Man kann ihn auch mit dem nordischen Mythus zusammenstellen, wornach die Valkyrien den Helden in Walhall zu trinken bieten, ohne daß man darum nach einer sonst beliebten Weise anzunehmen braucht, daß der Teufel hier an die Stelle der Valkyrien getreten sei 8.
Man darf aber auch mit dem Teufel und seinem Gesinde nicht essen, wenn man nicht der Hölle verfallen will. Nach DMS. 313 führt der Teufel einen Soldaten in einen Keller, wo er eine mit den köstlichsten Speisen besetzte Tafel sieht, an welcher verschiedene Gäste sitzen. Man nöthigt ihn mitzuessen, er weigert sich aber und kommt mit dem Leben davon. Ostpr. S. 146 wird ein Schuhmacher dazu gebracht, an einem Teufelsgelage Theil zu nehmen. Als es beendet ist, sagt der Teufel zu ihm: »Du hast mit mir gegessen und getrunken; du must bei mir bleiben.« Bei Bosquet S. 297 wird ein Spielmann von dem Teufel in die Hölle geführt; er genießt, wie ihm vorher gerathen ist, von den ihm vorgesetzten Speisen nichts, stirbt aber doch einige Tage nachher.
Das Sprechen in der Behausung des Teufels ist gleichfalls gefährlich. Haupt theilt in seiner Zeitschrift (7, 522) eine Sage aus dem elften Jahrhundert mit, wo ein gewisser Vollarg von dem Teufel in seine Wohnung geführt, aber vorher gewarnt wird, er solle sich mit seinen Mannen in keinen Verkehr und in kein Gespräch einlassen. Die Fremden haben hier denselben Anblick, wie bei dem Geistermahle; eine Tafel ist mit den köstlichsten Speisen besetzt und alles ist prächtig, obgleich es, wie sich nachher ergibt, nur Schein ist. So werden wir denn auch einige Sagen von Hexen hierher ziehen dürfen, mit denen die Gemeinschaft eben so gefährlich ist, weil sie mit dem Teufel im Bunde stehn. Es kommen viele Erzählungen vor, nach denen ein Mensch in die Versammlung schmausender Hexen geräth. Man bietet ihm einen Trunk, der aber Verderben bringt, wie die Speisen und Getränke der Geister, Wasserwesen und Zwerge. Die Sage spricht das aber nur selten deutlich aus. Nach Ndd. S. 33 darf man den Hexentrank nicht annehmen, weil er vergiftet ist; das. 337 wird er dem Pferde zwischen den Ohren durch gegossen, ein Zug, dem wir oben ähnlich begegnet sind, obgleich hier nicht hinzugesetzt wird, daß dem [384] Thiere die Haare versengt wurden. Gewöhnlich spricht der Mensch, wenn ihm von den Hexen Trank oder Speise geboten wird, den Namen Gottes aus oder macht das Zeichen des Kreuzes, worauf der Spuk verschwindet. Vgl. DMS. 151. N.S. 246. 383. 384. Müllenhoff 294 u.m.
Hier zeigt sich also der letzte Rest des alten Glaubens, der den Verkehr mit unterweltlichen Wesen gefährlich darstellt, wenn gleich schon in verblaßter Gestalt. Wir können noch folgende Züge des Volksglaubens hierher rechnen. Der Anblick des Teufels macht krank und tödtet 9, wie der Anblick eines Geistes und der böse Blick der Hexe (D. Mythol. 1053). Auf die Fragen der Hexe darf man nicht antworten, auf ihre Anrede nicht danken (das. 1056); nach Müllenhoff 290 wurde ein Mann, der eine Hexe angeredet hatte, augenblicklich getödtet. Ein Knabe, der dem Teufel zugeeignet war, wird dadurch von ihm gerettet, daß er nicht lacht (Pröhle M. 21). Jede Gemeinschaft mit unterweltlichen Wesen muß geheim gehalten werden, wie Handlungen, durch welche man von ihnen etwas erlangen will, Zaubereien, stumm geübt werden müssen 10. Von der Versammlung der Hexen, die man mitgemacht hat, darf man nicht reden, auch auf dem Rückwege kein Wort sprechen (Ndd. S. 154, oben S. 178). Der Freischütz darf sein Geheimniß nicht ausplaudern (Müllenhoff 493). Die Bräutigamsschau muß stumm geübt werden (DMS. 354). Will man einen Schatz heben, so darf man dabei nicht sprechen und lachen, sonst sinkt er in die Tiefe zurück.
Die symbolischen Züge, die wir in einer großen Zahl von Volkssagen verfolgt haben, zeigen eine noch tiefer eingreifende Bedeutung, wenn wir ihre Spuren in den Märchen aufsuchen. Hier hilft das Verständnis derselben oft dazu, den Mythus oder den Ansatz zu einem Mythus, den das Märchen enthält, zu verstehn 11. Es gilt nemlich [385] auch in dem Märchen Essen, Trinken, Sprechen, Berühren in den verschiedensten Verbindungen für gefährlich, und wir dürfen nun, auf unsere bisherige Untersuchung gestützt, den Satz aufstellen, daß da, wo dieses vorkommt, ein Gegensatz von Unterwelt und Oberwelt besteht. Wir müssen uns aber hier damit begnügen, ohne auf den Inhalt der einzelnen Erzählungen einzugehn, nur die verschiedenen Formen hervorzuheben, in welchen sich das Märchen ausspricht.
Zwei Formen treten hier hervor; die erste ist folgende. Dem Helden des Märchens wird eine gefährliche Aufgabe gestellt, durch welche er seine künftige Gemahlin erhalten soll, oder diese aus der Gewalt dämonischer Wesen befreit. Genießt er dabei die Speise der unterweltlichen Mächte, so verfehlt er sein Ziel und ist selbst dem Tode verfallen. Sehr deutlich ist das in einem schwedischen Märchen bei Cavallius S. 265 ausgesprochen. Die Meerfrau schickt einen Prinzen, dem ihre Tochter zur Gattin bestimmt ist, vorher zu ihrer Schwester, um von dieser die Hochzeitskleider zu holen. Diese, die keine andere als eine Beherscherin der Unterwelt ist, sucht ihn dreimal zu verleiten, daß er Speise zu sich nehme, damit sie Gewalt über ihn habe; er widersteht aber der Versuchung und kehrt glücklich zurück. In einer zweiten Form desselben Märchens (S. 282) wird geradezu gesagt, daß der Genuß der Speise den Tod herbeigeführt haben würde. KM. 93 wird demjenigen, der die Prinzessin erlösen soll, von einer alten Frau Essen und Trinken geboten; er nimmt davon, verfällt in einen tiefen Schlaf und kann nun seine Aufgabe nicht vollbringen. Einen andern Zusammenhang, aber dieselbe symbolische Vorstellung zeigt das Märchen bei Müllenhoff S. 418, wo Hans für seine kranke Mutter Aepfel aus dem Garten der Riesen holt. Als er selbst einen davon gegessen hat, verfällt er sogleich in einen tiefen Schlaf. Auch wenn man bei dem Erlösungswerke spricht, gedeiht es nicht zu einem guten Ende. So [386] muß in dem ersten unserer Märchen der Prinz sich quälen lassen, ohne einen Laut von sich zu geben, ein Zug, der auch sonst wiederkehrt 12. Das dritte Symbol zeigt sich deutlich in den beiden Märchen bei Wolf S. 30. 340, welchen in unserer Sammlung N. 13 entspricht. Die Erlösung der verwünschten Jungfrauen in dem alten Schlosse wird dadurch vollbracht, daß ihre künftigen Gatten sie nicht berühren, obgleich sie sich zu ihnen ins Bett legen. Einer derselben gibt seiner Geliebten einen Kuß (S. 347), da sind alle Prinzessinnen verschwunden 13.
Dieselben drei Symbole lassen die Märchen in einer andern, ganz entgegengesetzten Form erkennen. Wenn der Held das Nöthige gethan hat, um die verwünschte oder von feindlichen Dämonen zurückgehaltene Jungfrau zu erlösen, so darf er, ehe die Vermählung vollzogen ist, mit den Seinigen nicht essen, nicht trinken, sie nicht berühren, sonst wird er seiner künftigen Gattin entfremdet, er vergißt sie. Wir fassen das so, daß er dann der Oberwelt wieder angehört, während seine künftige Gattin noch in der Unterwelt bleibt. In dem schon angeführten schwedischen Märchen (Cavallius S. 271) hat der Prinz durch seinen Dienst die Tochter der Meerfrau erworben. Als er zu seinen Eltern geht, warnt ihn seine Braut, von diesen irgend eine Speise anzunehmen; er kostet nur ein Pfefferkorn und vergißt in Folge dessen seine frühere Geliebte. Damit ist das norwegische (Asbjörnsen 2, 16) zu vergleichen, wo der Königssohn in dem Schlosse seines Vaters einen Apfel ißt und dadurch die Erinnerung an die Vergangenheit verliert. Hierher gehört auch der Zaubertrank, den die Mutter der Gudrun dem Siegfried gibt, wodurch er die aus der Waberlohe befreite Brunhilde vergißt. Wir haben diesen Zug der Nibelungensage schon früher mit den in deutschen Märchen vorkommenden zusammengestellt, wo die zweite Braut dem Helden einen Schlaftrunk reicht, [387] damit dieser die Klagen der erstem nicht höre oder die Erinnerung an die Vergangenheit verliere 14. In ähnlichen Fällen kehrt Gefahr des Sprechens wieder. KM. 127 vergißt der Königssohn seine frühere Braut, die ihn erlöst hat, weil sie mehr als drei Worte mit ihrem Vater spricht. Umgekehrt vergißt bei Cavallius S. 292 der Königssohn seine Braut, nachdem er nur zwei Worte gesprochen hat. Vgl. Asbjörnsen 2, 11. Endlich hat die Berührung, namentlich der Kuß, dieselbe Folge. Der Königssohn gibt bei seiner Rückkehr seiner Mutter einen Kuß, und verliert dadurch die Erinnerung an seine Geliebte 15. In einem Märchen bei Pröhle N. 8 verbietet die verwünschte Prinzessin ihrem Befreier zu sprechen oder irgend Jemand zu küssen, weil er sonst sie vergessen würde 16.
Da wir nun in vielen Sagen gefunden haben, daß nach dem deutschen Glauben in der Unterwelt das Essen und Trinken, das Sprechen, dann Berührung und Kuß die Folge hat, daß man dadurch ihrer Macht verfällt, so liegt die Vermutung nahe, ob nicht auch in der griechischen Mythologie, von der wir ausgingen, ähnliche Züge mit derselben Bedeutung wiederkehren. Einiges, das vielleicht hierher gehört, findet sich schon in der Odyssee. Zunächst könnte man die Sage von den Lotophagen hierher ziehen, die den Gefährten des Odysseus süßen Lotos zu kosten geben:
Obgleich nun auch hier das Essen (des Lotos) das Vergessen der Heimat bewirkt, so bleibt die Parallele doch deshalb zweifelhaft, weil wir von den Lotophagen sonst nichts wissen. Deutlicher und schon von andern benutzt 17 ist die Erzählung von Kirke, der Unterweltsgottheit, welche die Gefährten des Odysseus durch einen Zaubertrank in Schweine [388] verwandelt, ἵνα πάγχυ λαϑοίατο πατρίδος αἴης. – Doch wir überlassen denjenigen, die sich mit der griechischen Mythologie besonders beschäftigen, diese Vermutungen zu widerlegen oder sie durch die Erklärung ähnlicher Sagen zu bestätigen.
Fußnoten
1 Ich gebrauche das Wort Unterwelt in dem Sinne, daß ich ganz im allgemeinen den Aufenthalt der Todten damit bezeichne, mag nun dieser in der Tiefe oder in der Höhe gedacht werden. Ich nenne auch jede Gottheit, welche Todte bei sich aufnimmt, eine Unterweltsgottheit, ohne sie darum andern so gegenüber zu stellen, wie man in der griechischen Mythologie die chthonischen Götter von den olympischen gesondert hat. Dieser hergebrachte Unterschied, den auch Gerhard noch festhält, sollte freilich auch schon aufgegeben sein, da er in dieser Weise unbegründet ist. Manche von den so genannten olympischen Göttern sind zugleich auch chthonische.
2 Vgl. z.B.M.S. 78. 123, besonders aber das Märchen bei Pröhle 25, wo auf dem grünen Platze vor der Hölle, d.h. in der Unterwelt, mehrere Menschen sich befinden, welche nicht sprechen. Damit halte ich zusammen, daß die Zwerge das stille Volk genannt werden, ein Vergleich, der durch das Folgende gerechtfertigt wird.
3 De resurgentibus dicitur, quod ridere non soleant. Caesarius Heisterb. 1, 32. In Beziehung auf die geisterhafte Frau, welche Ulrich von Würtemberg er scheint, heißt es in dem alten Gedichte S. 12:
Der ritter sah die frau an,
Vil sèr er zweifeln began.
Ob si icht lachen wolte,
Des si nicht tuen wolte.
4 Nach einem schlesischen Volksliede (bei Hoffmann 1; vgl. Simrock 1) hat die schöne Hannelo sieben Jahre bei dem Wassermanne gewohnt. Sie erhält die Erlaubnis ihre Eltern zu besuchen. Als sie bei ihnen den ersten Bissen ißt, fällt ihr ein Apfel in den Schoß. Als dieser ins Feuer geworfen ist, erscheint plötzlich der Wassermann, mit dem sie aus Liebe zu ihren Kindern zurückkehrt. – Durch das Essen auf der Oberwelt gehörte sie dieser wieder an, und nur ein freiwilliger Entschluß kann sie in die Tiefe zurückführen.
5 Vgl. D. Mythol. 391. 1055.
6 Auch die irische und englische Sage berichtet, daß man in dem Lande der Elfen nichts von ihrer Speise essen, auch nicht sprechen soll, sonst muß man immer darin bleiben. Vgl. z.B. Erin 6, S. 228. 398.
7 Nur einige Stellen aus Cäsarius von Heisterbach:poculum infernale ei propinantes 12, 10. Vgl. 2. 40. 41.
8 Zu vergleichen ist auch der griechische Glaube an den Trank aus der Lethequelle, der bewirkt, daß die Seelen das irdische Leben vergessen.
9 Cäsar. Heisterb. 5, 30-33.
10 Der Zauberer steht nach dem neueren Volksglauben im Bunde mit dem Teufel, durch dessen Beistand er seine Werke vollbringt. Nach der heidnischen Ansicht bedarf er dabei der Hülfe unterweltlicher Gottheiten. Nach dem Glauben der Griechen war Hekate die Vorsteherin der Zauberei und eine Unterweltsgöttin, nach dem nordischen Freyja.
11 Die vielfachen mythischen Beziehungen des Märchens sind allerdings schon anerkannt, man ist aber bis jetzt mehr darauf ausgegangen, einzelnes Aeußerliche aus ihnen zu nehmen, als in seine Symbolik zu dringen, so einfach diese auch in vielen Fällen ist. Ein Irrthum hat auch hier gewaltet. Man sieht die Märchen zu sehr als Entstellungen von mythischen Erzählungen an, die früher ungetrübter waren. Es ließe sich leicht zeigen, daß das meistens nicht der Fall ist. Das Märchen ist dagegen oft noch in seiner jetzigen Gestalt der einfachste und ursprünglichste Ausdruck symbolischer Naturanschauungen, wie sie auch in Göttermythen vorkommen. Daher kann man es häufig als den Anfang einer Mythenbildung bezeichnen. Welche die ursprünglichen Träger dieser mythischen Anschauungen waren, das ist für das Verständnis des Märchens und die Mythologie als Wissenschaft minder wichtig, es wird sich auch in den meisten Fällen nicht ermitteln lassen. Wo es aber möglich ist, da wird es erst eine andere Art von Forschung lehren, als die jetzt herschende.
12 Z.B. Sommer M. 8. Wolf M.S. 222. Bei Meier M. 44 wird die Erlösung schon dadurch vollbracht, daß man mit den erscheinenden Geistern nicht spricht. So kann auch die Schwester ihre Brüder nur dadurch erlösen, daß sie Hemden für sie näht und sieben Jahre dabei stumm bleibt. Dagegen sind auch die weiblichen Wesen, die auf Erlösung aus der Unterwelt harren, stumm und lachen nicht. Vgl. Versuch einer mythologischen Erklärung der Nibelungensage S. 99.
13 Vgl. Nibelungensage S. 55. Erst durch die vollzogene Vermählung ist die Befreiung aus der Unterwelt vollständig. Dadurch fällt auch auf die vielen Sagen von den weißen Jungfrauen ein Licht, die durch einen Kuß erlöst werden.
14 Nibelungensage S. 61. Vgl. KM. 56. 113, auch Asbjörnsen 2, 11. S. 113.
15 KM. 113. Diesem Märchen entspricht das bei Asbjörnsen 2, 16, wo der Biß in einen Apfel dieselbe Folge hat.
16 Vgl. noch Müllenhoff S. 400, wo er seine frühere Braut küßt, und Wolf M. 294, wo er nur von seinem Pudel beleckt wird. Dann auch den Kuß, durch den Theophilus sich dem Teufel ergibt; Sommer de Theophili cum diabolo foedere S. 7.
17 Ares von H.D. Müller S. 109.