145. Zwerge begaben.

1.

Eine arme Frau aus Lauenberg war einst nach dem sog. Burghalse gegangen, um daselbst Holz zu lesen. Da kurz vorher ihr Mann gestorben war, so weinte und jammerte sie laut. Wie [121] sie so jammerte, kam aus einer Spalte des Berges ein Zwerg heraus und fragte sie, was ihr fehle. Sie erzählte nun dem Zwerge alles; dieser hatte Mitleid mit ihr und schenkte ihr einen Kloben (ene dîfze) Flachs; davon solle sie nur, sagte er ihr, alle Tage spinnen. Die Frau ging mit dem Geschenke nach Hause, bezeichnete sich aber, ehe sie wegging, noch die Stelle, wo der Zwerg aus dem Berge herausgekommen war, mit einem Stocke, den sie in den Boden steckte, um so den Eingang in den Berg leichter wiederfinden zu können. Eine Zeit lang spann sie fleißig und es ging ihr gut, dann aber ward sie übermüthig und verlor durch eigene Schuld das Geschenk wieder, welches ihr der Zwerg gemacht hatte. Bald kam sie von neuem in Noth und beschloß deshalb wieder nach dem Burghalse zu gehen und den Zwerg zu bitten, daß er ihr noch einmal etwas schenke. Als sie aber zu der bezeichneten Stelle kam, standen da viele Stöcke umher, so daß sie den von ihr eingesteckten nicht wieder erkennen und den Eingang in den Berg nicht finden konnte. Unverrichteter Sache muste sie nach Hause zurückkehren.

2.

In Lauenberg lebte im Kochschen Hause eine alte Frau. Zu dieser kam einst ein Zwerg und forderte sie auf unter zwei Gaben eine zu wählen, entweder eine Rolle Garn, von der sie immer abhaspeln könne, ohne daß jemals das Ende käme, oder einen Kloben Flachs, von dem sie immer abspinnen könne, ohne daß er jemals ausginge. Jedoch dürfe sie keinem Menschen sagen, woher sie das Geschenk habe; sonst werde die Rolle Garn gleich einer gewöhnlichen abgehaspelt oder der Flachs gleich gewöhnlichem Flachs alsbald abgesponnen werden. Da sagte die Alte, sie wolle sich nur den Kloben Flachs wählen; denn wenn sie die Rolle Garn nähme, so würden die andern im Hause bald merken, wie es damit stehe. So schenkte ihr denn der Zwerg den Flachs, und sie spann immerfort auf das fleißigste, ohne daß er jemals zu Ende ging. Die Leute im Hause wunderten sich darüber und fragten, wie es zuginge, daß der Flachs gar kein Ende nähme; sie aber antwortete immer ausweichend und sagte, wenn sie nicht da oder schon schlafen gegangen wären, dann bände sie neuen Flachs ein. Als sie auf dem Todtenbette lag, sagte sie zu den Hausgenossen, jetzt wolle sie ihnen offenbaren, was für eine Bewandtnis es mit dem Flachse habe, [122] und erzählte ihnen alles. Als sie todt war, wurde der Flachs auch gleich abgesponnen.

3.

Ein Zwerg hatte eine menschliche Frau geheirathet und lebte mit ihr in einer ordentlichen Ehe. Einst wurde er mit seiner Frau zu einer Hochzeit eingeladen. Die Frau des Zwerges sprach zu ihrem Manne: »was wollen wir denn zur Hochzeit schenken?« Der Zwerg erwiederte: »wir haben ja schönen Flachs, davon kannst du eine dîfze schenken.« Die Frau schenkte auch der Braut bei der Hochzeit die dîfze Flachs; »sie hatte viel umgethan.« Der Zwerg aber verbot der Braut, sie solle ja niemals denken: »ob wohl die dîfze nicht kleiner wird.« Lange Zeit kam diese auch dem Verbote des Zwerges nach und spann fleißig, ohne daß des Flachses weniger wurde, wodurch sie sich großen Reichthum erwarb. Da aber dachte sie doch einmal, ob wohl die dîfze gar nicht einmal kleiner wird! Da ist dann der Flachs alsbald zu Ende gegangen.

4.

Ein Zwerg kam einst zu einem Schmiede und bat diesen ihm ein Hufeisen unter den einen Absatz zu legen. Der Schmied war bereit dazu, führte aber aus argem Herzen mit dem Hammer einen so gewaltigen Schlag gegen den Fuß des Zwerges, daß dieser weit wegflog und sich bei dem Falle die Hose am Knie zerriß. Den Schmied traf dafür die Strafe, daß ihm später jedes Hufeisen, welches er unterschlagen wolle, immer zersprang. Der Zwerg begab sich darauf, um den Schaden bessern zu lassen, zu einem Schneider. Dieser war auch gleich bereit das Loch zuzunähen, aber bei seiner Armuth hatte er nicht den erforderlichen farbigen Zwirn; er bat daher den Kleinen um Entschuldigung, wenn er mit weißem Zwirne nähe. Doch dieser entgegnete, das solle nichts thun; in Zukunft wolle er schon für farbigen Zwirn sorgen. Und richtig fand der Schneider am andern Tage auf seinem Arbeitstische ein großes Gebind farbigen Zwirn liegen, und so fortan alle Tage. Nun kam es aber bald dahin, daß der Schneider die Gabe des Zwerges gering achtete. Als er nun eines Morgens den Zwirn, wie immer, auf seinem Tische liegen fand, da ergrimmte er und sprach: »des Dreckes habe ich genug,« und warf ihn vor die Thür. Von diesem Tage an blieb des Zwerges Gabe aus, und zugleich ging des Schneiders Gewerbe unverkennbar zurück. Da trat er, schon ganz übel gelaunt, eines Tages aus der Stube und fand vor der Thür eine Katze sitzen, [123] die eine Maus im Maule hatte. An dieser wollte er nun seinen Unmuth auslassen und trat sie mit dem Fuße. Da hub die Katze an zu sprechen und sagte, er solle sich fortan vor Mäusen nicht zu retten und zu bergen wissen, bis er von ihnen gefressen würde. Und so geschah es: den Schneider verfolgten die Mäuse überall hin, so daß sie auf seinen Arbeitstisch kamen und ihm das Zeug vom Leibe herunter nagten, bis er ihnen zuletzt zur Beute wurde.

5.

In Ballenhausen lebte vor Zeiten ein Schuster. Diesen sprach einst ein Zwerg um ein Stück Brot an. Der Schuster sprach zum Zwerge: »Hast du kleiner Teufel (lütje düwel) denn so großen Hunger?« – »Ja, den habe ich,« entgegnete dieser, worauf ihm der Schuster bereitwillig Brot und noch andere Speise dazu gab. Beim Weggehen sagte der Zwerg: »das soll dir dein Leben lang gut thun,« und von diesem Tage an fand der Schuster an jedem Morgen ein Paar Schuhe fertig auf seinem Arbeitstische stehn, ohne daß er selbst einen Stich daran gethan hatte.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 145. Zwerge begaben. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BD9F-9