B.

In einer einsam liegenden Mühle diente eine Magd. Einst war der Müller mit seiner Frau nach dem nächsten Dorfe zur Kindtaufe gegangen, und das Mädchen ganz allein in der Mühle [307] zurückgeblieben. Da sah sie mit einem Male, wie zwölf Männer um die Mühle herum schlichen, um den Ort zu erspähen, wo sie am besten hineinkommen könnten, und traf sogleich Vorkehrungen zu ihrem Empfange. Nachts hörte sie denn auch ein Poltern und stellte sich mit einem scharfen Beile an das Loch, worin die Mühlwelle geht. Als sie so da stand, sah sie eine Gestalt durchkriechen; sogleich nahm sie ihr Beil, hieb ihr den Kopf ab und zog den Körper dann ganz herauf. Die unten fragten: »bist du herauf?« »Ja,« antwortete das Mädchen. Nun kam der zweite, auch ihm schlug das Mädchen den Kopf ab. So machte sie es nach einander mit elf; der zwölfte aber hatte noch zeitig genug Unrath gemerkt und sie schlug ihm nur oben die »Platte« vom Kopfe, worauf er davon lief. Dann trug sie die Körper der elf Räuber in die Mühle und legte sie neben einander hin. Die Herrschaft wunderte sich nach ihrer Zurückkunft nicht wenig, als sie die todten Räuber sah und dann von dem Mädchen hörte, was geschehen war. Der zwölfte Räuber, welcher entkommen war, ging nach einiger Zeit Sonntags zu der Mühle und fragte das Mädchen, ob sie ihn heirathen wolle. Sie wies ihn aber zurück. Bald darauf kam er zum zweiten Male und wiederholte seinen Antrag, da sagte sie endlich Ja. Nach einigen Tagen kam der Räuber in einer stattlichen Kutsche vor die Mühle gefahren, um seine Braut abzuholen. Das Mädchen stieg ein und die Kutsche fuhr weg. Wie sie mit ihm allein in der Kutsche saß, bat er, sie möge ihn krauen, und nahm seinen Hut ab. »Du hast ja eine bloße Stelle auf dem Kopfe,« sprach sie zu ihm. »Ja, warte nur,« antwortete der Räuber; »weist du nicht, daß du mir ein Stück vom Kopfe gehauen hast?« Das Mädchen erschrack, sprang aus dem Wagen und lief fort, doch der Räuber holte sie wieder ein und sie muste mit in das Räuberhaus. Hier wollten die Räuber sie tödten, doch vorher legten sie sich alle zwölf in der Stube auf den Fußboden, um zu schlafen. Das Mädchen, welches in der Kammer neben der Stube war, benutzte die Gelegenheit und lief weg. Sie entkam glücklich und vermiethete sich in einem Wirthshause. Von hier aus schlich sie sich einst wieder hin nach dem Hause der Räuber; alle zwölf waren ausgezogen, nur eine Frau war daheim. Diese sagte zu ihr, sie möge machen, daß sie wieder fortkomme, denn die Räuber würden sogleich zurückkehren. Doch das Mädchen bat, sie möge sie an einer Stelle verstecken, wo sie [308] nicht gefunden würde. Da kein anderer passender Ort da war, so muste sie sich unter ein Bett legen. Bald darauf kamen die Räuber zurück und brachten ein schönes Mädchen mit; dieses tödteten sie und zerhackten es dann. Dabei flog ein Finger, woran ein goldener Ring steckte, weg und gerade unter das Bett. Die Räuber wollten nun sogleich nach dem Ringe suchen, doch die Frau hielt sie davon zurück, indem sie sagte, sie möchten doch bis morgen warten, da könnten sie ja besser sehen. Das Mädchen unter dem Bette hatte aber den Finger mit dem Ringe in ihre Tasche gesteckt. Nachts, als die Räuber alle schliefen, machte sie sich auf, muste aber zwischen den Räubern, die in der Stube auf dem Fußboden lagen, hindurch gehn. Dabei berührte sie den ersten mit dem Fuße; »stoß mich nicht!« sprach dieser zu seinem Nachbar. Ebenso berührte sie auch den letzten; »stoß mich nicht!« sprach auch dieser zu seinem Nebenmanne. Im Hinausgehn knarrte die Thür ein wenig. »Du, die Thür hat geknarrt,« sprach einer zu einem anderen. »Ei was, es ist eine Maus gewesen,« erwiederte dieser. Doch beruhigten sie sich dabei nicht, sondern standen auf, setzten sich zu Pferde und ritten in den Wald hinein, um zu sehen, wer da gewesen wäre. In der Ferne sahen sie das Mädchen und setzten ihr nach; doch diese versteckte sich in einer Höhlung im Boden. Einer der Räuber stieß zwar mit seinem Schwerte auch da hinein und stach das Mädchen in den Hacken, doch gab sie keinen Laut von sich. So zogen die Räuber weiter, um ihre Nachforschungen fortzusetzen; das Mädchen aber bat einen Fuhrmann, der da vorbei kam, er möge sie doch unter die Felle kriechen lassen, womit sein Wagen beladen war. Dieser erlaubte es ihr gern und trieb dann seine zwei Pferde zur Eile an. Nach einer Weile begegneten die zurückkehrenden Räuber dem Fuhrmann, fragten ihn nach dem Mädchen und stachen zugleich durch die Felle hindurch; doch der Fuhrmann bat sie das zu lassen, er habe den Schaden davon, denn sie zerstächen ja alle seine Felle. So zogen sie denn weiter, und das Mädchen kehrte glücklich zu dem Wirthe zurück, bei dem sie diente. Nach einiger Zeit kamen die Räuber alle zwölf in den Krug, und ihr Anführer, den das Mädchen gezeichnet hatte, hielt wieder um ihre Hand an; die elf anderen gab er für seine Brüder aus. Das Mädchen aber erkannte sie sogleich und sagte dem Wirthe, daß das die zwölf Räuber wären. Dieser entfernte sich [309] sogleich und ging ins Dorf, um die Bauern herbeizuholen und umringte mit diesen das Haus. Das Mädchen aber ging zum Schein auf den Heirathsantrag ein. Als sie nun mit ihm allein war, sagte sie, sie wolle ihm einmal einen Traum erzählen, den sie gehabt habe, und nun erzählte sie alles, was sie in dem Räuberhause gesehen und erlebt hatte. Beim Schlusse ihrer Erzählung sagte sie dann zu dem ganz bestürzten Räuber: »Der Traum ist wahr, und der Finger ist da.« Mit diesen Worten legte sie den Finger mit dem Ringe vor ihn auf den Tisch. Jetzt wollten die Räuber zu den Fenstern hinaus springen, aber das Haus war umstellt, und alle wurden gefangen genommen.

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TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. Märchen und Sagen. Niedersächsische Sagen und Märchen. B. Märchen. 25. Das Räuberhaus. B. [In einer einsam liegenden Mühle diente eine Magd. Einst war der]. B. [In einer einsam liegenden Mühle diente eine Magd. Einst war der]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BEBF-A