[122] [127]Der Haarproceß.

Im seidnen krausen braunen Haar,
Saß jüngst der Liebesgott,
Und trieb da übers Scheitelhaar,
Den freventlichsten Spott.
Er lachte überlaut und schrien:
»Seht diese Locken an,
Euch macht man krauß mit vieler Müh,
Hier hats Natur gethan.
[127]
Euch salbt man mit Pomaden ein
Kämmt, pudert euch erst schön,
Dies parfümirt sich ganz allein,
Und riecht zehnmal so schön.«
Das weiche braune Scheitelhaar
Lang gnung sanftmüthig, sprach:
»Prahl doch nicht so mit diesem Haar,
Und setz' so sehr uns nach.
Eh' Damon jens gesehn, berührt
Hatt' er uns längst geküßt,
Wer weis wenn wir ihn nicht geführt,
Ob er noch von dem wüßt.
[128]
Ihn reizte unsrer Locken Pracht,
Erbaut von Doris Hand
Von uns erst dreust und warm gemacht
Traf sichs, daß er jens fand.
Und kurz das Haar, das wie man glaubt
Am Sternenhimmel steht,
War von der Berenice Haupt
Nicht sonst wo abgemäht – – «
Jetzt ward das kurze Haar auch laut,
Und rief: »Ich muß gestehn
Wenn Doris eure Locken baut;
So findt euch jeder schön.
[129]
Ihr schmückt Ihr blühendes Gesicht,
Erhebt der Stirne Weiß,
Doch wenns Chignon recht glat gleich liegt
Machts doch das Blut nicht heiß.
Nur dann, wenn Kunst euch gar nicht zwingt,
Und wenn ihr schön verwirrt
Um Doris Hals und Stirn euch schlingt,
Und um den Busen irrt;
Dann sieht der Jüngling im Tapon
Mein reitzend Ebenbild:
Denkt an den weichen Wollustthron
Der bey ihm alles gilt.
[130]
Küßt euch denn zärtlich, nennt euch schön;
Denkt aber mich dabey,
Und wird, so bald er mich gesehn
Gewis euch ungtreu – – «
Als Richter sprach drauf Venus Sohn!
»Schweigt Zänker und hört mich:
Du kleines Haar, schmückst Venus Thron,
Vorzüglich liebt sie dich.
Ihr Scheitelhaare seyd mein Netz
In dem sich mancher fängt,
Der thöricht über mein Gesetz
Sich längst erhaben denkt.
[131]
In euren Schlingen führ ich ihn
Dann hin zu Venus Thron,
Und laß das Grottchen ihn beziehn;
Wo ich bei Psychen wohn.
[132]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Scheffner, Johann Georg. Gedichte. Gedichte im Geschmack des Grecourt. Der Haarproceß. Der Haarproceß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C267-B