[243] An Friedrich Schlegel

Im Herbst 1802.


O Bruder, mir entzogen
Durch fremder Länder Weiten,
So ungern eingebüßt!
Hat mich der Wunsch betrogen,
Dich immer zu begleiten
In Wißenschafts-Bezirken,
Und in der Kunst Gefilden
Gemeinsam stets zu bilden:
Sei mir auch so gegrüßt!
Obwohl gesellig Wirken
Die Tage mehr versüßt.
Du folgest deinen Zielen,
Und jedes Unternehmen
Des Forschersinns ist dein.
Uns gilt kein müßig Spielen:
Die schwache Zeit beschämen
Kann nur ein mächtig Streben;
Drum nährst du dich, der Starke,
Mit aller Zonen Marke
Und saugst die Vorwelt ein.
So muß ein vielfach Leben
In deiner Brust gedeihn.
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Derweil dich Morgenblüthe,
Medschnuns und Leila's Liebe
In Persiens Gärten zieht;
Und schon dich dein Gemüthe
Hinlockt mit kühnerm Triebe,
Gleich weltumfahrnen Schiffern,
Zu lauschen, wie am Ganges
Getönt voll sel'gen Klanges
Manch indisch Blumenlied,
Und Weisheit zu entziffern
Aus heiliger Sanskrit:
Hält auf Hispaniens Fluren
An Manzanares Ufer
Mein Calderon mich fest.
Fantastischer Naturen
Viel Labyrinthe schuf er,
Doch triumphier'nder ringen
Die Lieder noch, entschleiert
Mysterien er, und feiert
Sein Phönix-Opferfest;
Daß mich ihm nachzusingen
Die Sehnsucht nie verläßt.
Und was wir beide ernten
Dem andern aufzuspeichern,
Ist uns willkommne Pflicht.
So mögen wir Entfernten
Einander doch bereichern.
Wie uns Natur gepaaret,
Als Brüder uns gesendet,
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Und diesem mehr gespendet
Was jenem mehr gebricht:
Das hat mir offenbaret
Jüngsthin ein Traumgesicht.
Mir war, als hielt' zusammen
Uns Eine Rind' umschloßen
In hoher Baumgestalt.
Das Blut, von dem wir stammen,
Fühlt' ich, durch uns ergoßen,
In allen Pulsen rege;
Wie einst die umgeschaffne
Lorbeer-umgrünte Daphne
Gefühlt der Wurzeln Halt,
Da noch des Busens Schläge
Den weichen Bast durchwallt.
Und in dem engen Düster
War mir's, als ob mein Reden
In eins mit deinem schmolz.
Es wollte solch Geflüster
Uns wechselnd überreden
Zu theilen unsre Kräfte.
Ich sagte: Laß die Wurzeln
Fest in den Boden wurzeln
Zu gründen unser Holz.
Du sagtest: Treib die Säfte
Hinan zum Wipfel stolz.
Alsbald begann ein Brausen,
Ein Kreißen wurde munter
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In Adern unsers Baums.
Du senktest ohne Grausen
Dich in die Nacht hinunter,
Und fandst den Weg ohn' Augen
Durch ehrne Felsenklammern
Zu kühler Waßer Kammern
Voll eisenschwangern Schaums.
Mich labte mit das Saugen
Des letzten Fasernsaums.
Ich aber ließ zum Gipfel
Empor die Keime sproßen
In heitrer Füll' umlaubt.
So schlang sich dicht der Wipfel
Aus Aesten, Zweigen, Sproßen;
Den Sternen, Mond und Sonne,
Den Lüften, Thau und Regen,
Streckt' ich die Arm' entgegen,
Und liebevoll das Haupt.
Du fühltest mit die Wonne,
Wie ich entzückt geglaubt.
Wir dachten froh: solch Walten
Der Eintracht soll uns schirmen,
Daß nie die Pflanz' erkrankt;
Es wird kein Blitz sie spalten,
Sie sinkt vor keinen Stürmen,
Und hören wir den Schatten
Von manchem Wandrer loben,
So spricht ein Wehn von oben,
Das säuselnd niederwankt:
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Der Geister inn'gem Gatten
Wird solcher Wuchs verdankt.
O Bruder! wie verbündet
Wir schon so gut gerungen,
Daß nur der Neid es schilt;
Uns tiefer stets gegründet,
Uns höher stets geschwungen,
Uns weiter stets gebreitet,
Zwar mit getheilter Stärke,
Doch dienend Einem Werke:
Sagt es dir jenes Bild?
Ich habe mir's gedeutet,
Daß dieß auch ferner gilt.
Laß uns auf Fahrten denken,
Um Bahnen aufzuspüren
Im offnen Ocean.
Du sollst das Steuer lenken,
Du sollst das Senkblei führen,
Und auf die Nadel blicken;
Ich will die Anker lichten,
Ich will die Segel richten;
Wenn Stürm' und Wolken nahn,
Seh' ich, was sie uns schicken,
Den flücht'gen Wimpeln an.
Wenn wir dann glücklich landen
An eines Eilands Küsten,
Dem laue Düft' entwehn,
Erspähn wir, was vorhanden
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In seinen holden Wüsten.
Ich Blum' und Kraut der Fluren,
Und Wild und bunt Gefieder;
Du läß'st zum Erze nieder
Die Wünschelruthe gehn,
Und kannst der Vorzeit Spuren
Im Steingepräge sehn.
Zur Heimat endlich eilend
Soll ruhig uns erfreuen
Jeglicher Müh' Ertrag.
Auch hier die Sorgen theilend,
Will ich die Saaten streuen,
Will Gärtner, Winzer werden,
Und gern der Reben warten;
Du thust indeß im harten
Gesteine manchen Schlag,
Und förderst aus der Erden
Edles Metall zu Tag.
Das giebst du meinen Händen,
So bild' ich künstlich Schalen
Und Trinkgefäße draus.
Wenn an des Hügels Wänden
Die Trauben purpurn strahlen,
Sollst du sie überkommen.
Dir gährt der Most im Keller,
Und sprudelt er nun heller,
Dann bringst du ihn heraus.
Ihr Freunde, seid willkommen
Zum festlich frohen Schmaus!
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O Lust des edlen Schaffens!
O Wonne, nie zu schätzen,
Des freien Geistvereins!
Statt des Zusammenraffens
Von todten ird'schen Schätzen
Die Gottheit zu erkunden
In Welten und Naturen,
Der Dinge Signaturen,
Wie alles ewig eins.
Dieß Thun zu allen Stunden
Sei deines so wie meins.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Lieder und Romanzen. An Friedrich Schlegel. An Friedrich Schlegel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D179-0