[337] Cervantes

1.
Sein Leben

Castilischen Geschlechts; von feinen Sitten;
Treu der Religion und treu der Ehre;
Gelehrter, dann Soldat, hab' ich im Heere
Don Juans bei Lepanto mitgestritten;
Den Arm verloren; Sklaverei erlitten;
Zum Fliehen schlau, frei bei des Druckes Schwere;
Erlös't; bemüht dann, daß mein Ruhm sich mehre:
So starb ich arm in der Bewundrer Mitten.
Die Welt war mir ein Spiel; mein Alter Jugend;
Ich mahlte was ich kannt', und kannte Vieles,
Und die Erfindung stand mir zu Gebote.
Von süßer Liebe reimt' ich, doch voll Tugend;
Erschuf Novellen, Galatee, Persiles,
Und den sinnreichen Ritter Don Quixote.

[338] 2.
Galatea

Wie blauer Himmel glänzt auf Thales Grüne!
Ein heller Strom fleußt lieblich auf und nieder,
Von Berg und Wald verdeckt, erscheint er wieder,
Und spiegelt klar der Landschaft bunte Bühne.
Wer ist die Blonde dort mit sitt'ger Miene?
Wie tönen süß die Leid- und Liebes-Lieder!
Mit ihren Heerden nah'n die Hirtenbrüder,
Und jeder zeigt, wie er der Holden diene.
O Lust und Klang! o linde Aetherlüfte!
Im zarten Sinn sinnreich bescheidner Liebe
So Himmlisches, doch Kindlichem Verwandtes!
Fremd wären uns die feinsten Blumendüfte,
Wenn Galatea nicht sie uns beschriebe,
Die göttliche des göttlichsten Cervantes.

[339] 3.
Das Trauerspiel Numancia

Roms Heeren, die im langen Kampf erschlaffen,
Numancia frei und kühn entgegenstunde.
Da naht des unabwendbar'n Schicksals Stunde,
Als Scipio neu der Krieger Zucht erschaffen.
Umbollwerkt nun, verschmachtend, helfen Waffen
Den Tapfern nicht; sie weih'n im Todesbunde
Sich, Weiber, Kinder, Einer Flamme Schlunde,
Um dem Triumph die Beute zu entraffen.
So triumphiert, erliegend noch, Hispania:
Stolz wandeln ihre Heldenblut-Verströmer
Zur Unterwelt auf würdigem Kothurne.
Wen Libyen nicht erzeugte, noch Hyrcania,
Der weint, es weinten wohl die letzten Römer
Hier an des letzten Numantiners Urne.

[340] 4.
Die Leiden des Persiles und der Sigismunda

Eine nordische Geschichte.


Aus wüsten Meeren und beeisten Zonen
Zieht ein Verhängniß, wunderbar gewunden,
Ein sittsam Paar, dem keines gleich erfunden,
Hin zu des Südens heitern Regionen.
Gekrönt mit Schönheit statt ererbter Kronen,
Trennt ein Gelübd' sie lang', obschon verbunden,
Bis sie begrüßt in andachtvollen Stunden
Die Stadt, wo alle Glorien Christi thronen.
Gefahr und Lust lockt sie vom Ziel vergebens,
Und um sie spielt der Menschen weltlich Handeln
Wie bunte Muscheln an der Pilgerhaube.
Zur Wallfahrt macht die Wellenfahrt des Lebens,
Ein sichrer Stab den keine Zeiten wandeln,
Edler Muth, reine Lieb' und heil'ger Glaube.

[341] 5.
Don Quixote de la Mancha

Auf seinem Pegasus, dem magern Rappen
Reit't in die Ritterpoesie Quixote,
Und hält anmuthiglich, in Glück und Nothe,
Gespräche mit der Prosa seines Knappen.
Erst, wie sie blind nach Abenteuern tappen,
Trifft sie der Weltlauf mit gar harter Pfote;
Dann kommt der Scherz als huldigender Bote,
Und schüttelt schelmisch ihre Schellenkappen.
Und Liebe webt drein rührende Geschichten;
Verstand der Menschen Sitten, Tracht, Geberden;
Es gaukelt Phantasie in farb'ger Glorie.
Ich schwör' es, und Urgande selbst soll richten:
Was auch hinfüro mag ersonnen werden,
Dieß bleibt die unvergleichlichste Historie!

[342] 6.
Die Reise auf den Parnass

Aus Versen ganz gebaut, beflaggt, bekabelt,
Holt in den Krieg für des Geschmackes Ehre
Ein Schiff Cervantes sammt der Dichter Heere,
Zum Berg der Dichtung, den sie selbst gefabelt.
Ein andres, wo sich Reimer, süß geschnabelt,
Herzugedrängt, versenkt Neptun im Meere;
In Schläuch' und Kürbse wandelt sie Cythere,
Daß nicht der Gott ihr hohles Volk ergabelt.
Bald sind besiegt, die den Parnass verwirrten;
Man siehet neu die Poesie erglänzen,
So wie die Sonn' aus schönen Morgenröthen.
Die Heldenthaten lohnt Apoll mit Kränzen
Und beut, um sie auf's beste zu bewirthen,
Kastaliens Naß den hungrigen Poeten.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Cervantes. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D29C-B