[81] Die Bestattung des Braminen

Eine Phantasie, an meinen Bruder in Ostindien.


Hingelehnt an dieses Palmbaums Kühle,
Weilen wir in schwermuthsvoller Ruh.
Bruder, hier ergieß' ich was ich fühle,
Hauche du dein Mitgefühl mir zu.
Laß uns hier der Menschen Looß erwägen,
Und dann seufzen: dieß ist unser Looß!
Hin zu irren auf bedornten Wegen
In des Grabes finstern Schooß.
Meine Seele schmachtet aus dem Kerker,
Auf gen Himmel bebt der matte Blick;
Unsichtbare Kraft nur wirft sie stärker
In den Staub, worin sie wohnt, zurück.
Aber einst, von Schmerz und Schwäch' entladen,
Soll, mit ew'ger Schönheit angethan,
Sie die Heimat finden, und sich baden
In des Lichtes Ocean.
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Aber horch! aus tiefer Ferne hallet
Kaum vernommnes Rauschen; schwül und schwer
Ruht die Luft, und das Getöse wallet
Durch die Ebne langsam auf uns her.
Lauter stöhnt's und lauter in den Palmen,
Deren Wipfel schauervoll sich regt,
Wie, vom West durchwühlt, ein Feld mit Halmen
Immer höh're Wellen schlägt.
»Das ist Leichenzug. – Auf diesem wilden
Acker, wo kein Thau auf Kräuter fließt,
Wo die Sonne, nicht um zu vergülden,
Nur zu dörren, glühnde Strahlen schießt,
Brütet der Verwesung schwarzer Flügel
Seit Aeonen über manchem Staub,
Und vor jedem morschen Knochenhügel
Wölkt sich nichts, als Todtenstaub.
Siehst du sie herannahn? Schädel zittern
Dumpfertönend unter jedem Schritt.
In der Schaar von Männern, Greisen, Müttern,
Wanken Kinder, jetzt nicht hüpfend, mit.
Nicht in Trauerfarben gehn die Weiber,
Prangen mit Geschmeid' und Perlen nicht,
Kummer schmückt die abgehärmten Leiber,
Thränen salben ihr Gesicht.
Weiber, bleibt zurück! – die Gatten, Brüder
Störet sonst des Jammers Ungestüm.
Schweigend setzen sie den Leichnam nieder,
Schichten dort ein Bett aus Cedern ihm.
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Laß uns näher an den Schauplatz treten.
Wenn nun Lüfte seinen Rest zerstreun,
Wer es sei, laß uns im Stillen beten:
Friede segne sein Gebein!
Sie entschleiern ihn. Die welken Wangen
Und die glatte Scheitel wie so schön!
Sehnlich soll mein Blick an ihnen hangen,
Bis vom Holzstoß helle Flammen wehn.
Lächelnd fühltest du die Stirn erkalten,
Lächelnd sanken dir die Augen zu;
Engelküße prägten in die Falten
Wonn' und Paradiesesruh.
»Ach, bist du's, Cudwallo? – Höre, höre! –
Doch, verschloßen ist mir ja dein Ohr. –
Einen liebevollen Blick gewähre! –
Ach! dein Aug' umnebelt düstrer Flor. –
Frommer Greis, auch du bist hingeschieden!
Denke mein! Gehab' dich ewig wohl!
Lehrte doch dein Bildniß jeden müden
Pilger, wie er sterben soll.
Du entschliefst mit einer heil'gen Bitte,
Wenn die Flur im Mondenschimmer lag;
Und mit Hymnen tratst du vor die Hütte,
Wenn der Tag aus Purpurwolken brach.
Gott nur suchtest du mit heißer Liebe,
Und der Gnädige verbarg sich nicht.
Harmonie war jeder deiner Triebe,
Deine Mien' erwärmend Licht.
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O wie oft, entwichen dem Getümmel,
Lehrtest du erhabne Weisheit mich.
Silbern blickte Hesperus am Himmel,
Dunkle Büsche nickten feierlich.
Meine Seele hieng an deinem Munde;
Deine Worte strömten stark und hell
Mir in's Herz, wie in dem Wiesengrunde
Vor uns hin der frische Quell.«
Still! denn lautres Weherufen kündet
Nun den letzten, letzten Abschied an;
Sieh den Knaben, der das Opfer zündet,
Angeschmiegt an seine Mutter nahn!
Er vollbringt, hinweggewandt, mit Beben,
Fast betäubt, das grausame Gebot.
Sieht, gleich Blitzen, Flammen sich erheben,
Fühlet tief im Innern Tod.
Schreiend ras't am Rand der rothen Gluten
Jedes Weib, zerrauft die Locken, wäscht
Die zerpochte Brust mit Thränenfluten,
Deren Guß den Brand der Qual nicht löscht.
Fest am Boden haftend, bläßer, stummer,
Fürchterlicher sitzt der Männer Kreiß.
Gram belastet, schwer wie Sterbeschlummer,
Ihrer Glieder starres Eis.
Und die Flamme lodert. Laute Klage
Tobt noch einmal: sie verlaßen ihn!
So wie, aufgeschreckt vom Donnerschlage,
Dunstgewölk' aus hohler Klippe ziehn.
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Irrend tönt das ächzende Gewimmer,
Und gedämpft durch's wehende Gefild.
Sie entschwinden meinem Blick: doch nimmer
Meinem Geist ihr harmvoll Bild.
Aufgewirbelt von des Westwinds Hauche
Steigt und fällt die Asche, schwarz und lau
Und verfälscht von dem zerfloßnen Rauche
Dämmert rings der Atmosphäre Blau.
Einsam weht die Flamme! Matt beschimmert
Von des Horizonts Gestaden her,
Sterbend, wie ein Krankenlämpchen, flimmert,
Zittert sie, und ist nicht mehr.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Vermischte Gedichte. Die Bestattung des Braminen. Die Bestattung des Braminen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D30E-1