[135] 8.
An Novalis

Ich klage nicht vor dir: du kennst die Trauer;
Du weißt wie an des Scheiterhaufens Flammen
Die Liebe glüh'nder ihre Fackel zündet.
Der Freuden Tempel stürzt' auch dir zusammen,
Es hauchten kalt herein des Todes Schauer,
Wo Reiz und Huld ein Brautgemach gegründet.
Drum sei mit mir verbündet,
Geliebter Freund, das Himmlische zu suchen,
Auf daß ich lerne, durch Gebet und Glauben
Dem Tod sein Opfer rauben,
Und nicht dem tauben Schicksal möge fluchen,
Des Zorn den Kelch des Lebens mir verbittert,
Daß mein Gebein vor solchem Tranke zittert.
Du schienest, losgerißen von der Erde,
Mit leichten Geistertritten schon zu wandeln,
Und ohne Tod der Sterblichkeit genesen.
Du riefst hervor in dir durch geistig Handeln,
Wie Zauberer durch Zeichen und Geberde,
Zum Herzvereine das entschwundne Wesen.
Laß mich denn jetzo lesen
[136]
Was deiner Brust die Himmel anvertrauen;
Das heil'ge Drüben zwar entweihen Worte,
Ließ' auch die ew'ge Pforte
Noch wen zurück, er schwiege: laß nur schauen
Mein Aug' in deinem, wenn ich bang erbleiche,
Den Wiederschein der sel'gen Geisterreiche.
Es ruft uns mit lebendigem Geräusche
Des Tages Licht zu irdischen Geschäften,
Ihr leiblich Theil verleihend den Naturen.
Die Sonne will auf sich den Blick nur heften,
Und duldet, daß sie allgebietend täusche,
Kein Jenseits an den himmlischen Azuren.
Doch wenn die stillen Fluren
Scheinbar die Nacht mit ihrer Hüll' umdunkelt,
Dann öffnet sich der Räum' und Zeiten Ferne;
Da winken so die Sterne,
Daß unserm Geist ein innres Licht entfunkelt.
Bei Nacht ward die Unsterblichkeit ersonnen,
Denn sehend blind sind wir im Licht der Sonnen.
Bei Nacht auch überschreiten kühne Träume
Die Kluft, die von den Abgeschiednen trennet,
Und führen sie herbei, mit uns zu kosen:
Wir staunen nicht, wenn ihre Stimm' uns nennet,
Sie ruhn mit uns im Schatten grüner Bäume,
Derweil sich ihre Grüfte schon bemoosen.
Ach die erblichnen Rosen
Auf dem jungfräulich zarten Angesichte,
Das selbst der Tod, gleich nach der That versöhnet,
Entstellt nicht, nein, verschönet,
[137]
Erblühn mir oft im nächtlichen Gesichte,
Daß meine Brust ganz an dem Bilde hänget,
Wovon des Tags Gewühl sie weggedränget.
So ist mir jüngst das theure Kind erschienen,
Wie auferstanden aus der Ohnmacht Schlummer,
Eh noch das dumpfe Grab sie überkommen.
Uns Traurenden verscheuchte sie den Kummer,
Und waltete mit ihren süßen Mienen,
Als wäre sie der Heimat nie entnommen.
Doch heimlich und beklommen
Schlich sich der Zweifel ein in unsre Seelen:
Ob sie, uns angehörig, wahrhaft lebte?
Ob sie als Geist nur schwebte,
Den herben Tod uns freundlich zu verhehlen?
Und keiner wagte sie darum zu fragen,
Um nicht den holden Schatten zu verjagen.
Mir hat sich Traum und Wachen so verworren,
Und Grab und Jugend, daß ich schwankend zaudre
Nach irgend einem Lebensgut zu greifen.
Vor allen Blüthen steh' ich fern und schaudre,
Als würden sie von einem Hauch verdorren,
Und nie zu labungsvollen Früchten reifen.
So muß ich unstät schweifen,
Aus meiner Liebe Paradies vertrieben,
Bis ich gelernt vom Ird'schen mich entkleiden,
Und an dem Troste weiden,
Daß diese Ding' in leeren Schein zerstieben;
Und nur die drinnen wohnenden Gedanken
Sich ewiglich entfalten, ohne Wanken.
[138]
Geh hin, o Lied! und sage:
Du jugendlicher Himmelspäher, labe
Mit deiner Weihe den, der mich gesungen,
Daß er, emporgeschwungen
Zum Ziel des Sehnens, nicht versink' am Grabe.
Ich bring' ein Opfer für zwei theure Schatten,
Laß uns denn Lieb' und Leid und Klage gatten.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Vermischte Gedichte. Todten-Opfer. 8. An Novalis. 8. An Novalis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D51E-F