[99] Erste Romanze

Karol Magnus, deutscher Kaiser,
Hatte siegreich all' die Lande
Von dem Meer zum Meer bezwungen,
England, Gallien und Italien,
Bei Burgunden, Bayern, Deutschen
Wehten hoch des Kreuzes Fahnen;
Aus des Orients weiter Ferne
Wundersam die Völker kamen,
Frohe Huldigung zu bringen
Vor den goldnen Stuhl in Aachen,
Wo des Nordens Heldenkinder
Auch die alten Schätze brachten.
Also pflag der hohe Kaiser,
Sicher nun in Frieden rastend,
Nach der Arbeit wilden Zeiten,
In des Glückes frohen Tagen,
Auf den Burgen jetzt der Ruhe.
Da er einstmals nun entschlafen,
Deucht' am Himmel ihm zu sehen,
Bei der Friesen Meer anfangend,
Einen lichten Weg von Sternen,
Liebevoll die Lichter strahlend
Auf dem blauen Himmelsgrunde,
Welcher Weg dann an Navarra
Grade hinzog nach Galicien,
Durch die Felder von Hispanien;
Nach Galicien, wo der Leichnam
Jenes Pilgrim Gottgesandten,
Des Apostel Sankt Jakobus,
Unter Heiden lag vergraben.
Wie das Wunder nun ihm deuchte,
Lag ihm immer in Gedanken,
Was doch wohl bedeuten solle
Jene sternenlichte Bahne,
Die allnächtlich ihm erschienen.
Wie er ernstlich das bedachte,
In dem Sinnen war entschlummert,
Da erscheinet plötzlich nahe
Hochgestaltet ihm ein Held,
Würdevoll im Alter strahlend,
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Hohen Hauptes, freundlich schauend,
Angetan mit braunem Mantel,
Nach der frommen Pilger Weise
Sanft gelehnt an mächt'gem Stabe.
Dieser auf den Kaiser blickend,
Wie, wenn er mit Augen fragte,
Sprach zu ihm die sanften Worte:
»Nun, mein Sohn, wohlan! was sagst du?«
Jener alsbald ihm erwidernd!
»O wer bist du, würd'ger Vater?« –
»Christi treuer Schüler bin ich
Und Johannis Bruder,« sprach er,
»Der Jakobus, den der Herr einst
Über wilde Meere sandte,
Seine Liebe zu verkünden
In den weit entlegnen Landen,
Dessen Leichnam in Galicien
Jetzo ruht, noch unbekannt ist;
Denn noch herrschen Sarazenen
Schmachvoll dort in jenem Lande.
Wohl, mein Sohn, muß ich drob staunen,
Da besiegt von deinem Arme
So viel Völker dir sich beugen,
Burgen dir erstürmt so manche,
Sieg' erfochten auch unzählig,
Daß du nur allein die Bande
Meines teuren Landes dorten
Nimmer noch zu lösen dachtest.
Da der Herr dich nun zum Ersten
Aller Erdenfürsten machte,
Sieh'! so hat er dich erkoren
Jener Heiden Grimm zu schlagen,
Und mein gutes Land befreiend,
Dich zu schmücken einst im Glanze
Mit der ew'gen Siegerkrone.
Jene lichte Sternenbahne,
Die am Himmelsgrund du sahest,
Liebevoll die Lichter strahlend,
Spricht von dir und deinen Scharen,
Wie ihr wandelt durch Gefahren,
Durch die Drachen Bahn euch schlagend,
In der Christen-Helden Glanze,
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Durch die fernen Lande wandelnd
Bis zu meinem stillen Sarge,
Zu dem dann die Völker alle,
Fromm andächt'ge Pilger, wallen,
Dort das bange Herz entladen,
Dank und Preis dem Herren sagend. –
Auf denn, eile nun alsbald
Ich geleite dich fürwahr,
Bin dein Bundsmann überall,
Und für deine Mühe hart,
Schaff' ich einst den Himmelskranz.« –
Solchem Worte kühn vertrauend,
Ruft der Kaiser seine Scharen,
Zieht dahin mit mächt'gem Heere
In das schöne Land Hispanien.
Und die erste aller Burgen,
Die sie zu bestürmen kamen,
War von ehern festen Mauern,
Pampelona sie mit Namen,
Daß drei Monde schon vergebens
Dort die Helden mühvoll harrten,
Nimmer sie erstürmen mochten.
Da der gute Karl nun sahe
Solche Arbeit seiner Mannen,
Zu Jakobus er sich wandte,
Recht von Herzen im Gebete,
An sein Wort ihn fromm gemahnend.
Und alsbald erbebten jene
Felsenmauern, stürzten krachend,
Wie zersplittert, durch einander.
Da die Heiden das vernahmen,
Übergaben sie die Burgen,
Beugten all' sich seinem Arme
Und gelobten ihm Gehorsam,
Warfen von sich gern die Waffen,
Und verehrten hoch die schönen,
Ritterlich geschmückten Franken,
Die in Sieg und Freude zogen
Hin zu des Jakobus Grabe,
Und von dorten hin zum Meere,
Wo der Kaiser seine Lanze
Weit hin in die Wogen schluge,
Gott und Sankt Jakobus dankend,
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Dem er von dem roten Golde,
Was die Fürsten all' ihm gaben,
Eine schöne Kirche baute,
Ewig Denkmal seines Grabes;
Und vom Meere bis zum Meere
War nun sein das Land Hispanien.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Roland. Erste Romanze. Erste Romanze. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D73F-6