Tod.

§. 2. Der Schneider und der Tod.

Zur Zeit wo Unser lieber Herrgott und die zwölf Apostel noch in der Welt herumgegangen sind, haben sie einmal bey der Nacht keine Herberge finden können. Meynte der Petrus, er wisse ein Häuschen, wohne ein Schneider darin, bey dem könne man zufragen. Sagt Unser Herr darauf: »Wäre recht, gehe nur hinein und frag, ob wir Zwey bleiben dürfen.« Da frägt der Petrus den Schneider: der aber entschuldigt sich, er habe kein Stroh, daß sie liegen könnten. Sagt Petrus: »Das thut nichts, wir liegen auf der Bank.« Nun geht er hinaus, um sein Geschäft zu melden, und findet zu seinem Erstaunen, daß auch die anderen Apostel nicht draussen bleiben wollen, und er hatte doch nur für Zwey Quartier bestellt. Da macht der Schneider auf, Petrus geht hinein, ihm nach Unser Herr, drauf die Anderen. Vergebens rief der Schneider: »Jetzt bring' ich die Thüre nicht mehr zu, das Ding nimmt ja kein Ende.« [10] Alle drangen ein. Die Schneiderin sollte nun Suppe kochen und hatte wenig Brod: da tröstet sie Petrus damit, daß der Hunger nicht groß sey. So essen sie die Milchsuppe, reden eine Weile und legen sich dann zur Ruhe.

Als die Nacht vorbey war, geht Petrus an den Schneider hinan und sagt: »Darfst dir drey Wünsche thun; was du wünschest, wird wahr; aber um die Schuldigkeit darfst du nicht fragen.« Unser Herr bestätiget des Petrus Rede, und der Schneider fängt zu wünschen an. »Zum ersten, da draussen ist ein Birnbaum: da gehen die Leute hinauf und thun mir die Birnen herunter; so wollt ich, daß wer hinaufgeht, nicht mehr herab kann. Weiter: Drinnen in meiner Stube ist ein Sessel: da setzen sich die Leute hinein, wenn sie kommen, und das verdrießt mich; die sollen fortan pichen bleiben. Drittens, ich werde so der Jahre sechzig alt seyn und möchte halt, daß ich hundert Jahre alt werden dürfte.«

So waren die drey Wünsche vollendet, und der Schneider lebte hundert Jahre, und darnach kam der Tod mit der Sengst und sagte: »Schneider, jetzt mußt du mit!« –

Wäre gut, meynte der Schneider, ich habe nur noch eine kleine Arbeit, muß im Mantel den Aermel zunähen. Ist recht, sagte der Tod, ich gehe derweil auf den Birnbaum hinauf, bis du fertig wirst. Der Tod steigt also auf den Baum, und bricht sich eine Birne um die andere, fort und fort, und bekommt genug. Da sagt[11] der Schneider: »jetzo bin ich fertig;« dem Tode aber wurde bange, er konnte nicht vom Baume herunter; je länger der Schneider wartet, je weniger kann er herab. Da mußte er gute Worte geben, und dem Schneider auf's Neue hundert Jahre zulegen.

Wie diese zweyte Frist um war, kommt der Tod wieder und ließ sich diesesmal nicht mehr gelüsten, auf den Baum zu steigen und Birnen zu essen: weil er aber keinen anderen Platz in der Stube leer fand als den Sessel, so setzte er sich in diesen, bis der Schneider zusammengepackt hätte, und trieb diesen an, zu eilen, denn er müsse fort, es nutze nichts mehr. Je länger aber der Tod im Sessel sitzt, je weniger kommt der Schneider zu einem Ende: so ward er ungeduldig und wollte aufstehen, vermochte es aber nicht und mußte wieder hundert Jahre zulegen, daß er ledig wurde.

Als die dritte Frist um war, kam der Tod wieder, und weil er weder auf den Baum stieg, noch sich in den Sessel setzte, konnte der Schneider ihn nicht mehr stimmen, und wurde diesesmal richtig mitgenommen. O. Bernried.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Dritter Theil. Zwölftes Buch. Tod. 2. Der Schneider und der Tod. 2. Der Schneider und der Tod. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-DE1C-7