6.

Bey einem Grafen in den Bergen diente ein verlaufener Bube als Hirt. Der schlich eines Tages in den Baumgarten am Schloß und kam zu einem Brunnen. Da sah er was Glänzendes schwimmen und nahm es heimlich mit. Im Winkel des Stalles hielt er den Fund an's Spahnlicht und es war nur eine kleine goldige Fischschuppe. Er wog und bog und rieb das schimmernde Ding, als auf einmal die junge Burgfrau vor ihm stand. Erschrocken fiel ihr der Hirt zu Füssen, denn sie war gar schön und stolz und hatte den hübschen Knecht noch keines Blickes gewürdiget. Jetzt aber erhob sie das Spahnlicht und strich dem Jungen das Haar aus der Stirne und lächelte gar gnädig ihn an und nannte ihn einen schönen Jüngling, der ihr lieber wäre denn der alte Graf, ihr Gemahl. Das mochte dieser gehört haben: denn grimmig fuhr er herbey, packte den Buben und warf ihn den Felsen hinunter. Wer da hinunterfiel, vergaß das Aufstehen für immer bis zum jüngsten Tag.

Der Hirt aber fiel unten, wo sonst kein Wasser gewesen, in einen weichen Pfuhl und that sich nicht wehe. Eben kam ein Einsiedler des Weges; der trug einen [225] schweren Sack und sagte zum Jungen: »Hilf mir den Brodsack in meine Hütte tragen!« Der hatte ein gutes Herz, trug den Sack, und diente fortan dem frommen Mann.

Einmal hatte der Knecht Langeweile und zog seine goldene Schuppe hervor und wollte sie glänzender haben; darum rieb er sie sachte. Wieder stand die Burgfrau vor ihm, der wie Espenlaub vor Angst zitterte, und sie bat, von ihm hinweg zu gehen, damit es ihm nicht noch übler ergehe wie vordem. Sie aber lächelte gar hold, nannte ihn ihren Schatz, und versprach, ganz ihm zu gehören, so er ihr ein Pfand geben würde. Der Junge aber merkte jetzt, was er für einen Fund gethan und hatte Nichts, was er der Gräfin geben könnte. Diese fing nun zu seufzen und zu weinen an und setzte sich an seine Seite und umarmte und küßte den Knecht, daß ihm siedend heiß wurde. Das Weib berückte ihn so, daß ihm die Sinne schwanden und er nicht wußte, was er that, und als er aus seinem Taumel erwachte, war er allein; er meynte, es wäre ein Traum gewesen: aber der Verlust der Schuppe belehrte ihn eines Anderen.

Da ward der Knecht aus Liebe krank, und der Einsiedler pflegte sein wie ein Vater, daß er wieder genas. Doch wich das Bild des schönen Weibes nicht aus seinem Herzen, er brütete Tag und Nacht und der Gram kam wieder über ihn. Da entdeckte er dem frommen Mann sein Leid. Der frug ihn aus um seiner Kindheit früheste Tage – er hatte das eigene, lange verloren geglaubte Kind gefunden. Doch schwieg er hievon; [226] denn er mochte nicht gestehen, daß er der Bruder des Grafen und durch dessen Zauberkünste um all sein Hab und Gut gekommen sey.

Den Knaben litt es aber nicht länger mehr im dunkeln Walde; er fühlte, wie es ihn anwindete, fortzog; so machte er sich auf und ging in der Irre herum und gelangte wieder zum Garten des Schlosses und zum Brunnen, der im trüben Mondlicht leise Wellen trieb. Er schaute hinein in die spielende Fläche, schüchtern über den Rand des Brunnens gebückt. Da lag die Gräfin im Bade, ruhig und still, und hatte die Augen geschlossen, als ob sie schliefe, und bewegte nur den blendendweissen Arm und die rosigen Finger der Hand, welche anstatt in Nägel, in Schuppen sich endeten. Endlich regte sie sich; sie löste den silbernen Gürtel vom Leibe und hielt ihn schwingend empor. Der Jüngling, welcher die Wasserfrau erkannt hatte und nun vermeynte, sie wolle ihm die Schlinge um den Hals werfen und ihn erwürgen, griff hastig nach dem Gürtel und rannte mit der Beute davon, wie von Hundert gehetzt, in langen Umwegen zur Klause. Schon war es Tag. Da fand er den Grafen traulich beym Alten sitzen. Jener aber hatte kaum den Gürtel in der Hand des Knaben bemerkt, als er rasend aufsprang: »Ha, der Gürtel der Gräfin,« rief er, und wollte den Jungen mit dem Schwerte durchbohren. Da rief der Alte: »Bruder, halt ein, es ist mein Sohn!« Das Schwert entsank dem Grafen. Von Beyden gefolgt, eilte er zum Brunnen; da sassen die Meerwölfe und nagten noch an den Knochen [227] der Wasserfrau; sie mußte sich alle Jahre einmal baden, um die Fischhaut abzustreifen, die ihr alle Jahre wuchs; der Gürtel schützte sie im Bade vor ihren Feinden, den Meerwölfen.

Der Graf verfiel in Wahnsinn und starb bald, nicht lange darnach auch der Einsiedler. So ward der junge Knecht Herr der Burg; unbeweibt endete er in Trübsinn das freudenleere Leben. Lind.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Zweyter Theil. Zehntes Buch. Wasser. 2. Wassergeister. 11. Der Wasserfräulein Liebe. 6. [Bey einem Grafen in den Bergen diente ein verlaufener Bube als]. 6. [Bey einem Grafen in den Bergen diente ein verlaufener Bube als]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-DEFB-2