V. Deutung der Drud.

Aus dem Vorgetragenen ist ersichtlich, daß die Drud einen mehrfach mythischen Charakter an sich trage, weshalb noch näher hierauf eingegangen werden muß.

Was vor Allem im Auge zu behalten ist, die Vermengung der Begriffe von Drud und Hexe, so bedeuten diese Namen ursprünglich wohl dasselbe. Thrudr ist der Name einer Walkyre, und von dieser später Benennung für jede Jungfrau geworden. Das Wort Hexe [228] bedeutet »die Kluge«, und dient somit zur Bezeichnung einer Eigenschaft der den Göttern nahestehenden Jungfrau, der Priesterin.

Das Wort Drud hat sich indessen vorzugsweise im Süden Deutschlands erhalten, und es wäre interessant, die Gränze zu suchen, inner welcher sein Gebrauch sich ausdehnt; gegen Norden gelangt das Wort Hexe zur ausschließenden Herrschaft, und es möchte daher zu vermuthen seyn, daß Hexe sich erst später über den Süden verbreitet und in seinen Begriff auch theilweise die Thätigkeit der Drud aufgenommen habe. Soviel erscheint als ausgemacht, daß der Begriff der Drud sich viel reiner in dem Gebiete längs des Böhmerwaldes erhalten habe, als in den anderen Theilen, wo Drud und Hexe nahezu als gleichbedeutend aufgeführt werden, und somit an der Drud auch Alles haftet, was das Mittelalter der Hexe zuschrieb. An den Gränzen gegen Bayern und Franken gehen die Begriffe in einander über.

Das Wesen der Drud ist ein viel beschränkteres, als jenes der Hexe. Die Drud begnügt sich mit Drucken, ist hiefür nicht verantwortlich und sucht nicht eigenen Vortheil; im Wesen der Hexe liegt böse Absicht, Freude am Bösen und Eigennutz. Jene ist bloß Werkzeug, dessen sich eine höhere Macht bedient, diese sucht die höhere Gewalt sich dienstbar zu machen, erniedriget das höhere Wesen zu ihrem Werkzeuge.

Die Drud, als kluge Frau, ist vorzugsweise die Priesterin; Priesterin ist schlechtweg »die Frau«, wie noch heut zu Tage »der Herr« statt des Priesters auf[229] dem Lande gilt. Die frommen Weiblein gehen mit Befriedigung aus der Predigt, wenn sie sich gegenseitig gestehen können: daß heute »der Herr« es ihnen, das heißt den Andern, recht tüchtig hineingesagt habe.

Als das Christentum mit dem germanischen Heidentum in Kampf gerieth und Sieger wurde, lag es nahe, daß das Heidentum sich zu retten suchte, indem es christliche Formen annahm. Zu diesen gehört vor Allem eine Scheintaufe.

In jenen ersten Zeiten des Christentums trieben sich auch viele Irrlehrer bey den germanischen Stämmen herum. Ihr Taufen konnte der Kirche nicht gelten. Daher in den Sagen so oft die Taufe angezogen wird; die fehlerhafte Taufe macht zur Drud, und Rettung wäre, wenn die Taufe von einem rechtgeweihten Priester wiederholt würde; in einer der Sagen zeigt sich der taufende Priester geradezu als Anhänger des Heidentums, indem er im Namen des Teufels, der alten Götter taufte. Auch die heidnischen Germanen hatten eine Art Taufe, eine reinigende Weihe der neugebornen Kinder durch Wasser.

Die Drud hüllt sich also in das Gewand des Christentums, um ihren Göttern noch zu retten, was zu retten ist.

Die Germanen aber, so eben erst zum Christentum bekehrt, meist nur getauft, ohne dessen Lehren genauer zu kennen, konnten sich sogleich nicht der nachklingenden Erinnerung des geliebten Götterglaubens entziehen; sie fürchteten, wo sie nicht mehr lieben durften, sie schrieben alle Unfälle, die seit der Taufe über sie kamen, der Macht [230] der Götter zu, welche sie verlassen hatten, und wurden darin von den treu gebliebenen Heiden bestärkt.

Was der Gott thun will, wirkt er durch seine Diener; was also der rächende Gott über die Treulosen verhängt, erfolgt durch die Priesterschaft. Daher erklärt sich, daß die Drud als feindlich, zum Schaden wirkend jetzt noch erscheint, daher noch die mythische Gestalt der Hände und Füsse der Drud. Die Drud ist gezeichnet durch ihre Augenbraunen: darin er scheint das Zürnen des Gottes ausgedrückt, wenn nicht angenommen werden will, daß zu Priesterinen nur solche Frauen genommen wurden, welchen auch äußerlich schon der Stempel der Gottheit aufgedruckt war. Ferner liegt es nahe, daß der schwache Christ durch Opfer, welche er der heidnischen Priesterin darbringt, sich von der Verfolgung seiner nationalen Stammgötter zu retten sucht. Das Pferd, das Huhn erscheint um so mehr als ein solches Opfer, da sie mit schwarzer Farbe gekennzeichnet seyn müssen; den Göttern weiht man nicht das Schlechte; die Drud erdruckt daher das schönste Thier im Stalle, und zwar ein solches Thier, welches über ihre Kräfte geht, zu dessen Bewältigung sie der Hilfe ihres Gottes bedarf; die Drud tritt also in doppelter Thätigkeit auf, rächend und sühnend.

Bei dem Vordringen des Christentums mußte sich das Heidentum in die Verborgenheit zurückziehen; noch jetzt heißt ein Weib, welches bey seinem Handeln den Schleyer des Geheimnisses um sich hüllt, eine Drud.

Nicht minder erklärt sich auch, warum die Drud [231] der Kindbetterin und ihrem Kinde so sehr nachstellt. Sie hatte als Priesterin wohl früher die Aufgabe, Mutter und Kind durch eine heilige Handlung zu reinigen. In ihrer Pflicht gegen die Götter sucht sie die Heiden dem alten Glauben zu erhalten, die Christen wieder herüberzuziehen. Wo sie Widerstand findet, zürnt, droht sie. Daher die Gefahr für Mutter und Kind, bis die Kirche durch ihre Weihe die Drohung unwirksam macht. War früher das Kommen der Drud ersehnt, so ist es nun gefürchtet.

Daß unter der Drud aber auch ein höheres Wesen, ein Walkyre, zuletzt die Freyja zu verstehen sey, habe ich oben angedeutet. Eine weitere Frage wäre, ob und in wie weit die keltische Druidin an dieser Benennung Antheil habe? Ich möchte beyde strenge sondern, und für die Druidin das ganze Amt der Hexe in Anspruch nehmen; dieses würde die Gleichstellung von Drud mit Druidin und Hexe im Westen erläutern. Dort kommen die Druidensteine, Druidenbäume, Druidenwasser vor, in Osten nicht. Die Druidin ist allgemein Priesterin, Drud dagegen Priesterin einer bestimmten Gottheit, wahrscheinlich der Freyja. Walkyre und Katze gehören auch zur Freyja.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Erster Theil. Drittes Buch. Die Mutter und ihr Kind. 11. Die Drud. 5. Deutung der Drud. 5. Deutung der Drud. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-DF26-7