II. Aberglaube.

§. 17. Einleitung.

Aberglaube ist falscher Glaube. Jedes Volk mit ausgeprägtem Religionssysteme wird die Gegensätze, welche es bey Völkern anderen Glaubens vorfindet, als Aberglauben [220] bezeichnen, und so ihm die Macht zur Seite steht, verfolgen. So zerstörten die Perser die Tempel Aegyptens, vertrieben die Römer ägyptischen Geheimdienst aus Rom und Italien, bedrückten Syriens Könige den Jehovakult der Juden.

Geht ein Volk zu einer neuen Religion über, so erscheint ihm nothwendig gar Manches aus seinem alten Glauben als Aberglauben. Finden sich Spuren, daß die Germanen der Verehrung einer gestürzten Götterdynastie entsagten, so erklärt sich, warum die Riesenweiber als Zauberinen verfolgt wurden.

Dem Christentume endlich gilt das gesammte Heidentum als Aberglaube im weitesten Sinne des Wortes. Es vermochte aber nicht, gleich Anfangs bey der Bekehrung der Heiden Alles aus deren Erinnerung und Uebung zu entfernen, was heidnischer Wurzel war: das Heidentum selber rettete einzelne Anschauungen und Uebungen unter der Hülle der Verborgenheit des Geheimnisses, ja selbst unter dem Schutze christlichen Gewandes.

Daher ist Aberglaube des heutigen Volkes Alles dasjenige, was es ausserhalb und neben seinem christlichen Glauben als geheimnißvoll wirkend anerkennt und übt, ohne hiefür andere Rechenschaft geben zu können als die, daß es so von den Vorältern überkommen worden. Dieser Aberglaube ist alsoüberliefert, heidnische Tradition, der letzte Rest des früheren Heidentumes. Das Volk aber weiß nicht von diesem Ursprunge: ihm gilt Heidentum gleich Teufelsdienst. Wüßte [221] es, wie es um seinen Aberglauben steht, es würde sich mit Abscheu davon wenden.

Frägt man nach der Quelle des Aberglaubens in der Zeit, so werden wir zu den Uranfängen der Völker geführt, in jene Zeit, wo das Menschengeschlecht sich vom wahren Gotte ab- und falschen Göttern zuwendete. Heidentum und Aberglaube fallen wie in der Wesenheit so auch in der Zeit zusammen.

Besieht man ferner die Weise, in welcher sich der Aberglaube jetzt noch äussert, etwas näher, so erscheint er zweifellos als religiöse Uebung des Heiden, der, Alles, was ihn berührt, sein Hoffen und Fürchten, sein Kämpfen und Wehren, auf die Götter bezieht, ihrem Schutze, ihrer Weihe unterstellt. Der Heide, dessen Glaube nicht auf Liebe, sondern auf Furcht gebaut ist, gebahrt sich nicht wie der rationalistische Christ, welcher sich in allen möglichen Trugschlüssen der Abhängigkeit von einem persönlichen Gotte zu entledigen sucht; er ruft vielmehr überall seine Götter herbey und sieht sich nur in dem Schutzverhältnisse beruhiget, in welchem er zu ihnen steht. Das Heidentum, hervorgegangen aus dem Abfalle von Gott, hat den Gottesfrieden verloren und ist vom Geiste derUnruhe bewegt; in ihm verbleibt als Strafe das unheimliche Ahnen einer höhern Macht, des Fatums, welches selbst über seinen Göttern steht und diese bedroht. Sucht also der Heide Böses von sich abzuwehren, Glück herbeyzuführen, die Zukunft zu erforschen, durch Mittel, welche anscheinend ausserhalb des Bereiches der Natur liegen, [222] und von seinen Göttern unmittelbar gereicht werden, so vollzieht er eben, was seine Götter auch thun; denn auch diesen wohnt die Furcht vor dem künftigen Ende inne und sie vermögen dessen Hereinbrechen nicht bloß durch eigene Kraft abzuwehren, sondern bedürfen hiezu sogar des Beystandes der Menschen und jener feindlichen Kräfte, die jeden Augenblick bereit sind, das Ende zu beschleunigen.

Aberglaube ist also Gemeingut aller Völker und Zeiten des Heidentumes: seine Wurzel liegt in dem Ich des von Gott abgefallenen Menschen, sein Ziel in Befriedigung menschlicher Leidenschaft. Daher die überraschende Aehnlichkeit abergläubischer Gebräuche bey den Heiden der entferntesten Orte und Zeiten.

Ich werde in Nachstehendem zwey Erscheinungen des Aberglaubens besprechen, die Heilkunde des Volkes und die Anzeichen für Gelingen oder Mißlingen; es ist mehr oder minder die harmlosere Seite des Aberglaubens und beym Volke noch umsomehr in Ansehen, je weniger der Teufel und seine bösen Geister zur Beschädigung des Nächsten hiebey thätig auftreten.


Um zuerst von den Krankheiten und ihrer Heilung zu sprechen, so beruht die abergläubische Uebung sichtbar auf heidnischer Anschauung. Wird das Uebel besprochen, so ist der Segen, der es vertreiben soll, Gebet an die Götter; wenn verschrieben, sind es heilige Runen, geheimnißvolle Zeichen, in welchen wieder der Gott zur Hilfe herbeygerufen wird. Und [223] hängt man Amulette um den Hals, so ist dem Christen wie dem Heiden die Sache gemeinsam, die Beziehung aber eine verschiedene. Soll ferner die Krankheit in Erde oder Wasser vergraben und vertragen werden, so sind wir auf die heiligende, reinigende Kraft dieser Elemente hingewiesen, und wenn in Bäume oder Sträuchen verbohrt, so sind es Gewächse, den Göttern geweiht, daher wieder Bezug auf göttliche Hilfe gewährend, wie die Haselstaude, welche als Muttergottesbaum auf Freyja weist, oder der Vogelbeerbaum, dem Thor heilig. Und Alles dieses muß geschehen zu gewisser Zeit, gewöhnlich Nachts, unter dem Schutze des Mondes und mit gewisserFeyerlichkeit nach einem bestimmten Ritus. Selbst die Hausmittel sind solche, welche ihre Weihe durch die Götter, weil diesen geheiliget, in sich tragen. Das Volk ist dabey so unbefangen, zu glauben, daß, was ihm von Wichtigkeit, auch in der Apotheke vorräthig seyn müsse und läßt sich so gutmütig statt alter Ehe Sperma ceti, statt verdorrter Menschenhaut gegen die Schwinden, Hausenblase reichen.

Wenn wir sehen, daß alte Weiber, Schäfer und Schinder diese Art Heilkunst üben, so waren dem Heidentume wie überhaupt der Urzeit Priester und Priesterinen die Heilkundigen; ihr Geschäft ist nun auf jene übergegangen. Wir finden also auch an den ursprünglichen Trägern dieser wohlthätigen Wissenschaft innige Verbindung mit der Religion. Der göttliche Beystand war die Hauptsache, er allein machte das [224] Kraut, welches helfen soll, heilkräftig. Die Gegenwart dagegen bemüht sich, Alles zu beseitigen, was einer göttlichen Beyhilfe etwas ähnlich schiene; die gelehrte Wissenschaft genügt sich selbst und hat in dem Menschen eine Maschine gefunden, welche nur aufgezogen und geölt zu werden braucht, damit sie diene.

Was also das Volk in seiner Heilkunde weiß, geht auf hohes Altertum zurück, in eine Zeit, wo es auf seinen Wanderungen inniger mit der Natur und ihren Kräften vertraut war, denn heutzutage. Und nicht gewagt wird die Behauptung seyn, daß hinter manchem Aberglauben des Volkes tiefes weihevolles Wissen aus uralter Zeit liegt. Es wäre daher wichtig genug, diesem Schatze, der gleich Anderem in den Schoß der Vergessenheit sich zurückzieht, noch rechtzeitig die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden, zu sammeln, was sich noch heben läßt, mag auch Manches davon als widersinnig erscheinen.


Daß der Mensch wissen will, ob ein Unternehmen günstig oder zum Gegentheile ausschlagen werde, ist menschlich; er sucht daher Zeichen, an denen er den Ausgang zu erforschen meynt. Aber nicht willkürlich ist die Wahl. Wieder handelt es sich hier um den Bezug auf die Götter; was diesen heilig, vermag ihm auch bey dem ersten Begegnen, als von den Göttern gesendet, Glück zu verkünden, besonders, wenn es höhere, streitbare Thiere sind. So verkündet dem kriegerischen Germanen der Angang eines Wolfes, Wodans [225] Thier, Glück, während der furchtsame Hase, das unkriegerische Weib, der waffenlose Priester Unheil bringt. Juckt das linke Auge, die linke Nase, fingt das linke Ohr, so ist es dielinke Seite, welche Ungünstiges meldet: denn dem Germanen liegt links der Norden, die unwirthliche Gegend, die Wohnung der Hel in Niflheim, und dem Christen war diese Seite schon darum mißliebig, weil der Norden noch lange heidnisch blieb, als der Süden sich dem Christentume schon zugewendet hatte.

Vorstehendes mag an diesem Orte genügen. Ich wende mich nun zur Krankheit, um die Heilkunst daranzureihen und gelegentlich noch einzuschalten, was eben nahe liegt.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Dritter Theil. Dreyzehntes Buch. Hölle. Dritter Abschnitt. 2. Aberglaube. 17. Einleitung. 17. Einleitung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-E2C1-3