6.
Die Verschiedenheit in diesen kosmischen Sagen gehört wohl ursprünglich verschiedenen Gebieten religiöser Anschauung an, und ich würde nicht Anstand nehmen, dieselben als Ueberbleibsel des Glaubens verschiedener Stämme zu nehmen, wenn sie nicht gleichzeitig auf geringem Raume neben einander angetroffen würden. Es scheinen verschiedene Systeme dahinter verborgen zu seyn, welche schon zur Zeit, da die Germanen in Deutschland sich festsetzten, in einander sich verschoben hatten. Weiß ja auch die Edda von zwey Religionssystemen, dem der Asen und der Vanen, welche schon in der Urzeit in einander übergingen und selbst wieder über ein Drittes noch Aelteres die Oberhand gewannen. Anderseits darf nicht unbeachtet bleiben, daß Sonne zu Feuer und Luft, wie Mond zu Wasser und Erde in eigentümlicher Stellung sich befinden, und gerade da die Sagen von Wassergeistern und den Unterirdischen reichlich fliessen, wo das Volk noch jetzt vom Monde gar Vieles zu erzählen weiß.
Ferner muß es auffallen, daß unten am Böhmerwalde der Mond ausschliessend in eine ganz feindselige Stellung zur Sonne tritt und sie ebenso zu bewältigen[78] sucht, wie der Sonnenwolf. – Ist aus dem Mond, welcher der Sonne in Liebe folgt, ein Verfolger geworden? – Es ist hervorzuheben, daß der Landmann da, wo diese Anschauung vom feindlichen Monde gilt, nicht diesem, sondern der Sonne beym Aufgehen den Hut abnimmt, vielmehr abnehmen soll. »Wenn d'Sunn àfgêd, soll da Baua 'n Houd obadáuñ.« Kürn. – Steht die zerstörende Kraft, welche der Mond auch sonst ausübt, etwa in näherer Beziehung hierauf? Man sollte vermeynen, es liege dem ein uralter Kampf zwischen Sonnen- und Mond-Dienst zu Grunde, aus einer Zeit, wo der allgemeine Lichtdienst sich spaltete, je nach den Trägern des Lichtes.