4.

In einem Dorfe lebte ein schöner junger Taglöhner, und sein Liebchen war das schönste Mädchen weit und breit, Anna Mayala mit Namen, aber arm. Die vielen Freyer, die sich meldeten, machten beyden[213] Leutchen vielen Kummer, doch siegte am Ende die Standhaftigkeit und der Tag zur Hochzeit wurde bestimmt. Veri aber hatte von Natur etwas Wildes an sich: er war so träumerisch und in sich versunken, und sang gar oft gottlose Lieder von der Unterwelt. Davon hieß er der tolle Veri. Tags vor der Hochzeit ging er in den Wald, um ein Wild für das Fest zu erlegen. Mit einem prächtigen Rehbock auf dem Rücken war er auf dem Wege nach Hause. Doch seine Gedanken irrten wild umher, blieben nicht bey der Braut. Während er seinen wilden Träumen nachdachte, kam er an einen Steg. Schon leuchtete der Mond. Da ward er böse über sich, daß er sich verspätet und versäumt habe, den Vorabend seiner Hochzeit bey der Braut zu verbringen. Der Steg ging über ein helles flaches Wasser, und der Mond spiegelte sich gar schön darin. Das zog ihn wieder ab: es wehte ihn so wehmütig an. So legte er sein Ohr, sich niederknieend, auf die Wasserfläche, ob er nichts höre. Da vernahm er denn süsses Singen, je länger, desto schöner, je schöner, desto bezaubernder. Immer mehr neigte er das Ohr den wunderlieblichen Tönen, und gedachte, hinabzusinken in die Fluthen wäre gar so süß. Da schaute er hinein in die dunkle Tiefe; es war, als ob schöne Beine, wie er sie nie gesehen, im Tanze auf- und niederschwebten; er hob das Auge und sah Mädchen schön und reizend, in leichter Bewegung nach den Tönen der Musik einen Reigen beginnen. Alle waren schön, Eine vor Allen. Er frug sie, wie es da unten wäre. Sie näherte sich und legte [214] ihr bleiches Haupt auf seine Brust und sagte in Wehmut: »Ach, es ist bey uns so schön, so ruhig, viel mehr Luft und Leben als bey Euch. Willst du mit mir?« Er bejahte es. Sie aber fügte noch hinzu: »Sieh, ich war auch einst auf der Erde. Du hast eine Braut. Kannst du sie vergessen? So du mit mir gingest, müßtest du ihrer nicht mehr gedenken. Jedes Sehnen nach der irdischen Braut würde dir Strafe zuziehen.« Bey diesen Worten schaute sie ihm so gewinnend in die Augen, daß er sie umschlang. Die Füsse gleiteten ihm aus, er sank hinunter mit ihr in das unbekannte Land.

Im Dorfe aber harrte die Braut umsonst des Geliebten: er kam nicht. Man suchte aller Orten, und fand nichts, als auf dem Stege sein Gewehr und den Rehbock. So vergingen viele Jahre. An einem Dienstage sah man einen Hochzeitzug sich zur Kirche bewegen, die Braut schön und anmutig wie eine Rose, Annamayala genannt, hinter ihr Vater und Mutter. Letztere erschien bleich und leidend, an Jahren noch nicht vorgeschritten, mit den Spuren hoher Schönheit. Der Zug ging über einen Steg. Tief auf seufzte die Mutter. Der Vater suchte sie zu trösten. »Ist die Gegenwart,« sprach er zu ihr, »nicht besser, als die Vergangenheit? Haben wir nicht in Frieden und Treue gelebt mit einander, und ist unsere schöne Tochter nicht dein sprechend Abbild?« Inniger lehnte sie sich an ihn.

Plötzlich lief Einer, die langen Haare wild in der Luft flatternd, in hastiger Eile den Bergabhang herunter, geradezu auf die Braut. Wie ein Rasender [215] schlägt er sich vor die Stirne, wie ein Irrsinniger faßt er das Mädchen und nennt sie seine Braut: erst gestern habe er sie verlassen, sie müsse mit ihm zum Altare. Mit gewaltigem Arme schleudert ihn der Bräutigam hinweg, die Mutter bebt und vermeynt, zusammenzubrechen, der Zug geht weiter.

Nach zwey Tagen geht die junge Frau um Wasser an den Teich. Wieder kommt der wilde Mensch und umschlingt sie und will sie nicht lassen, und wieder wird er vom kräftigen Arme des Gatten hinweggeschleudert.

Darauf sah man ihn im Dorfe herumgehen und nach Leuten fragen, die alle schon tod waren. Zuletzt ging er aus dem Pfarrhause heraus und seitdem sah und hörte man nichts mehr von ihm.

Später kam ein Franziskaner alljährlich in's Dorf, bleich und leidend, noch schön von Angesicht, und nirgends kehrte er lieber zu, als bey dem Annamayala. So oft er kam, befiel die Mutter ein Zagen, das sie nicht erklären konnte. Nun starb der Vater. Der Mönch erschien zur Stelle, um die trauernde Wittwe zu trösten. Er sprach folgende Worte zu ihr: »Gutes Weib, bedenkt, daß alles Leben hart: betrachtet mich und was ich gelitten, so werdet Ihr weniger Euerem Schmerze Euch hingeben.« Da sah ihn die Trauernde an, sie forschte, zagte, erschrack. Sie hatte den Veri erkannt, welcher in ihr schon längst sein Annamayala gefunden hatte. Nun kam die Reihe zu klagen an ihn; doch er ermannte sich und fuhr fort: »Ich habe da unten gelebt, in der Erde, in einem geisterhaften Reiche, [216] gelebt mit einer Wasserfrau, schön und verführerisch, wie mit meinem Weibe. Stets war sie um mich, nur an Freytagen blieb sie mir unsichtbar; ich wäre wohl glücklich gewesen in ihrer Liebe: doch blieb mir Etwas zurück im Herzen, das keine Befriedigung fand. Zeitweise quälte mich eine Leere, die ich nicht auszufüllen vermochte; sie war eben doch kein rechtes Weib. Besonders fiel mir auf, daß ihre Füsse stets mit Schleifen gebunden und verhüllt waren. Sechs Kinder hatte sie mir geboren, und auch ihnen waren die Füsse gebunden. Die Kinder wuchsen schnell zur vollen Grösse: so oft sie ein Kind gebar, war das vorhergehende schon vollkommen erwachsen. Das Geheimniß mit den Füssen peinigte mich aber immer mehr. Da löste ich, als sie einmal schlief, die Hülle der Füsse, sie hatten Gänsefüsse, Schwimmhäute zwischen den Zehen, an diesen kleine Krallerln. Ich erboste und fluchte und wünschte, daß doch das siebente Kind ein Mensch werden, mit menschlichen Füssen zur Welt kommen möchte. Und mein Wunsch ward erfüllt. Die Wasserfrau aber, als sie das Kind zum Erstenmale sah, stieß einen Schrey des Entsetzens aus, daß sie einem solchen krüppelhaften Wesen zur Mutter werden mußte und überhäufte mich mit Verwünschungen. Und nicht lange, so kamen die anderen Wasserfrauen, meinem Weibe zur Geburt Glück zu wünschen. Sie sahen aber nicht sobald die Menschenfüsse des Kindes, als auch sie ergrimmten. Sie nahmen das Kind und zerrissen es in Stücke und begierig verschlangen sie die kleinen Glieder. Denn Kinderfleisch [217] gewährt ihnen wieder auf dreyhundert Jahre Schönheit und Jugend, und macht die Männer in Liebe zu ihnen entbrennen. Machtlos mußte ich Alles dieses über mich ergehen lassen. Zuletzt tippte mich mein Weib an mit einem Stäbchen, ich verfiel in Schlaf, und als ich erwachte, befand ich mich an derselben Stelle, von welcher ich früher in das Wasser hinabgleitete. Ich sah den Hochzeitzug deiner Tochter; sie hielt ich der Aehnlichkeit halber für dich: denn es war mir Alles wie ein Traum. Das Uebrige weißt du. Erst der Pfarrherr klärte mich auf, daß seitdem schon mehr denn zwanzig Jahre verlaufen seyen, und ich hatte gedacht, es wäre Alles erst von Gestern. Im Kloster büsse ich für meinen Frevel. Deinen Enkeln habe ich Perlen und Edelsteine gebracht.«

Nicht lange und die Mutter kam zum Sterben. Wieder fand sich der Mönch ein; er kniete sich hin vor die Sterbende, und legte ihre Hände in die seinen: das Haupt sank ihm hernieder. Beyde waren Leichen. Sogleich sah man zwey weisse Tauben zum Fenster hinausfliegen; die grössere davon hatte aber an einem Fusse sieben schwarze Flocken hängen, welche bey der Berührung mit der kleinen fleckenlosen Taube am Fenster abgestreift wurden und weiß zur Erde fielen. Es waren Zettelchen, auf diesen standen die Namen der sieben Kinder des Wasserfräuleins: denn auch ihnen hatte der Vater durch sein späteres frommes Leben die Erlösung erwirkt, so daß auch sie in den Himmel eingehen durften.

Um die beyden Leichen abzuwaschen, ging eine der Enkelinen hinaus an den Teich, um Wasser zu schöpfen, [218] und schon war Avemaria vorbey, als sie zum Stege kam. Da begegnete ihr eine Freundin, welche sie frug, »warum sie zu so ungewöhnlicher Zeit Wasser hole.« »Ach,« erwiederte sie, »es ist ja meine Großmutter gestorben, und ihr Geliebter, der Veri.« Da vernahm sie eine leise Stimme rufen: »Wer ist gestorben?« Und nun brauste der Teich, die Wellen hoben sich und wälzten sich auf das Haus zu und füllten die Stube, wo die Verblichenen lagen, und flötzten sie hin und her. Die Leute erschracken, gaben den Leichen Weihwasser und die Fluthen zogen ab. Aber sie liessen sechs neue Leichen zurück, schöne Knaben und Mädchen, zwischen zehn und siebenzehn Jahren, die Füsse verhüllt, in den herabhängenden Händen einen Zettel fassend, auf welchem geschrieben stand: »Wir sind erlöst.« Zu unterst an den Kinderleichen aber lagen zwey Füsse eines Knaben, der dazu gehörige Leib war in seinen Umrissen wie ein Schatten auf dem Boden gezeichnet. Daneben gab ein Zettelchen folgenden Aufschluß: »Der Leib ist verzehrt, die Seele währt.« Es war das siebente Kind der Wasserfrau, von welchem nur die menschlichen Füßchen übrig blieben.

So oft der Jahrestag des Todes des tollen Veri kommt, bricht der Teich aus; an anderen Tagen schlägt er in seinem Gestade wilde Wellen. Seitdem scheint aber auch der Mond nicht mehr in seinen Spiegel. Neuenhammer.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Zweyter Theil. Zehntes Buch. Wasser. 2. Wassergeister. 11. Der Wasserfräulein Liebe. 4. [In einem Dorfe lebte ein schöner junger Taglöhner, und sein Liebchen]. 4. [In einem Dorfe lebte ein schöner junger Taglöhner, und sein Liebchen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-E5A4-D