§. 13. Geisterfischchen.

Unter den Fischen gibt es viele verwunschene Leute oder Arme Seelen. Ihnen leuchtet nur der Mond; in seinem Lichte spiegeln sie sich. – Das Sonnenlicht ist ihnen verschlossen. – Oft wirft die Sonne ihre Strahlenbüschel in rieselnde Bächlein, wie sie denn überhaupt gerne in reines, murmelndes Rieselwasser sich spiegelt. Da erscheinen schwarze Fischlein, fingerslang und schlank, zart und dünn, mit lebhaften Augen, und sehen die Herrlichkeit des Himmels, und kommt ihnen wieder in Erinnerung, was sie verloren. Dann ziehen sie sich zurück in die Prell, in den bodenlosen schwarzen Dümpfel, so schnell, daß kein Mensch sie fangen kann, und bleiben Jahre lang darin verborgen, in ihrem Schmerze, daß sie so unglücklich sind.

Es treten aber die ächten Fischlein zu ihnen hin und fragen, warum nicht auch sie hinausgehen, um sich zu wärmen an der Sonne. Die Geisterchen antworten darauf mit Ausflüchten; denn sie wollen nicht merken lassen, wer sie sind, um nicht verachtet und verfolgt zu [230] werden. Zuletzt aber, um Verdacht abzuwenden, geht wohl ein Theil mit hinaus, die einen traurig, die andern leichtfertig und munter. Doch können sie nicht schnalzen und tanzen im Wasser, wie die Fischlein; denn die Trauer kommt wieder über sie und bald kehren sie an ihren dunklen Ort zurück. Vom dunklen Aufenthalte sind sie schwarz gefärbt.

Haben diese Geisterchen nur mehr drey Jahre zur Erlösung, so tanzen sie im Mondenlichte auf dem Wasserspiegel in jener jugendlichen Gestalt, welche sie einst als Menschen mit zwanzig Jahren hatten, gehüllt in seine Florkleider, die Haare lang und fliegend. Doch nur zweymal des Jahres ist ihnen dieses gestattet, in der Christ- und Walburgis-Nacht. – Die Kleider derer, welche noch drey Jahre haben, sind schwarz mit einigen weissen Flecken; im zweyten Jahre halb schwarz, halb weiß, im letzten nahezu weiß. Ist das Kleid endlich ganz weiß, werden sie in den Himmel aufgenommen. Oefters sind auch gefallene Geister, früher Engel, darunter: diese kommen nie zum Tanze und müssen warten in ihrer Fischesgestalt bis zum jüngsten Tag.

Ein Mädchen ging in der Christnacht über einen Steg. Im Wasser unten spiegelte sich der Mond. Da wendete sich ihr Blick abwärts, und sie sah die Geister auf der Wasserfläche tanzen; der weissen aber wurden immer weniger; zuletzt waren nur mehr gefleckte übrig. Unter diesen erkannte sie eine verstorbene Freundin. Die frug sie, und erfuhr nun die Deutung des Tanzes. Doch für ihren Frevel wurde ihr mit Strafe gedroht, [231] und nach drey Jahren starb das Mädchen. Neuenhammer.

Wieder eine andere Art, aber noch kleiner, etwa nadelgroß, hält sich auf dem dunklen Boden der Stehbrunnen, Cisternen, auf; diese bescheint nie die Sonne.


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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. 13. Geisterfischchen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-E64D-B