7.

Gegen halb neun Uhr macht sich aber dem aufmerksamen Beobachter eine gewisse Aenderung bemerklich in dem bisher herrschenden Tone der Unterhaltung. Das eine Dirnlein wirft bedeutsame Seitenblicke zu dem kleinen Fensterchen hinaus ins Dunkel der Nacht, und weil sie ihren Augen nicht trauen will, horcht sie so sonderbar, als ob sie draussen etwas vernehmen wollte. Daß sie wirklich nichts hört, daran ist nur das abscheuliche Knarren des Rädchens schuld, welches nicht geölt [421] ist. Ein Anderes wendet verstohlene Blicke in entgegengesetzter Richtung auf den alten schwarzen Uhrkasten, und man meynt, sie wolle räthselhafte Zeichen daran entziffern; darüber ist der Faden gerissen und zieht die Aufmerksamkeit der Unwilligen wieder zur Arbeit. Auch die redselige Alte ist einsylbig geworden, und in ernstes Nachdenken versunken. Doch muß sie mit sich schon im Reinen seyn, denn sie nickt beständig das graue Haupt. Zuletzt will eine schelmische Spinnerin, hinten in der Ecke, wo sie bisher ganz verborgen saß, die Erfahrung gemacht haben, daß vom vielen Spinnen der Finger, der den Faden dreht, gar so weh thue, und sie glaubt sich daher berechtigt, ihr vermeyntliches Gutachten dahin zu äussern, es wäre der Arbeit genug geschehen, und nun Zeit, damit für ein andermal auszusetzen, und während sie noch redet und die Andern noch nicht zum Worte darüber gekommen sind, daß sie schon längst dieser Ansicht gewesen, öffnet sich die Thüre, und herein treten des Nachbars Söhne und Knechte, um benöthigten Falles die Fingerleidende Spinnerin in ihrem Ausspruche zu unterstützen.

Nun werden gutwillig die Räder bey Seite gestellt, und ein neuer Aufzug beginnt; der Schlaf, der auf Besuch gekommen, nimmt Reißaus und räumt heiterem Scherz und Spiele das Feld; dieses heißt: »Scherz auslassen, Elend oder Dummheiten machen;« die Bursche necken die Mädchen und umgekehrt, man verträgt den Holzstoß, oder verschlichtet damit die Thüre der Rockenstube, man schreckt die Furchtsamen durch Anschlagen [422] an die Läden, fährt Schlitten, wirft sich mit Schneeballen, man singt, man tanzt auch, und so geht es fort, bis die Uhr zehn schlägt.

Draussen ist es finster, der Weg von Schnee und Eis etwas glatt, und es ist daher nur galante Pflicht, daß die Bursche die Mädchen schirmend und schützend gegen jeden Unfall nach Hause geleiten. Aber auf dem Heimwege findet das lustige Völkchen noch manchen Anlaß, seinen Ulk zu üben, und mancher Bauer sieht sich am Morgen bemüssiget, seinen Pflug vom Dache des Hauses herabzuholen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Erster Theil. Sechstes Buch. Die Frucht des Feldes. 7. Die Rockenstube. 7. [Gegen halb neun Uhr macht sich aber dem aufmerksamen Beobachter]. 7. [Gegen halb neun Uhr macht sich aber dem aufmerksamen Beobachter]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-E8F2-1