§. 3. Die Götter auf Erden.

Nach dem Zeugnisse der heiligen Bücher setzte Gott den ersten Menschen in den Garten Eden, daß er ihn [290] bebaue und bewahre, und gab ihm sein Gebot, daß er es halte, und als Adam mit seinem Weibe in Folge des Sündenfalles das Paradies verlassen mußte, machte ihnen der Herr Röcke von Fellen und that sie ihnen an. Nun sollte der Mensch die Erde bauen, von der er genommen ist. Und auch in dieser Verbannung stand der Herr dem Menschen zur Seite und verkehrte mit ihm segnend und lehrend.

Wie ein rother Faden zieht sich sodann, von dieser Ueberlieferung ausgehend, durch der Völker Mythen der Zug, daß die Götter herniedersteigen zur Erde, um die Menschen zu unterrichten, wie sie Nahrung, Kleidung und Wohnung zu gewinnen hätten, sie zu lehren die Kunst, das Leben zu verschönern, ihnen das sittliche Grundgesetz zu ertheilen, wonach sie als Vernunftwesen das Leben der Seele regeln sollten, um im Jenseits des steten Umganges mit den seligen Göttern gewürdiget zu werden. Gleich den Göttern des griechischen Olympos lassen sich auch jene des germanischen Nordens hernieder zu den Menschen, um in den Anfängen der Kultur und in Aufstellung von Recht und Sitte ihre Lehrmeister zu seyn.

Der neuere Zeitgeist hat zwar in seinem Stolze, worin er sich selbst zum Schöpfer der göttlichen Idee macht, die unmittelbare Belehrung und Begabung des Menschen von Seiten der Gottheit als unbequem nicht mehr anerkannt; aber dem Uebermute dieser neuen Himmelsstürmer ist auch alsbald der Sturz gefolgt. Ihnen ist der Mensch überhaupt nichts denn eine höhere [291] Entwicklung des Thieres, ein potenzirter Affe; folgerecht ist daher auch all sein Wissen und Handeln nichts mehr oder minder, als die Verarbeitung der Erscheinungen thierischen Lebens und somit an Gottes Stelle das Thier zum Lehrmeister der Menschheit bestellt. Während alle Ueberlieferung der Völker in dem Satze zusammentrifft, daß die Menschheit aus einem höheren, glücklichen Zustande, dem goldenen Zeitalter, in die Mühsal und Verdunkelung des heutigen Erdenlebens herabgesunken sey, fangen jene kleinen Titanen umgekehrt damit an, daß sie die Menschheit aus dem unedlen Zustande der Thierheit zur Höhe der Glückseligkeit heutigen Tages aufsteigen lassen.

Ist ferner der Mensch vollkommen aus der Hand seines göttlichen Schöpfers hervorgegangen, so mußte er nothwendig schon mit dem Gebrauche seiner Vernunft und damit der Sprache begabt seyn. Der Mensch denkt nur klar, so er seine Gedanken in Worte zu kleiden vermag. Das Wort ist der verkörperte Gedanke. Darum befiehlt auch der Herr dem Adam, die Thiere zu benennen. Indem er ihnen den Namen ertheilt, hat er die Herrschaft über sie gewonnen. Der Philosophie der Verneinung aller Vergangenheit aber geht die menschliche Sprache aus der Thiersprache hervor, aus Lauten ohne Wesenheit, weil ohne Geist; für sie hat kein Gewicht, daß die Ueberlieferung der Urvölker, welche doch den Anfängen viel näher standen als die Gegenwart, von einem so niedrigen Zustande nichts weiß, daß die Sprache selbst in ihrer äusseren Erscheinung um so [292] höher steht, je weiter zurück man ihre Spur verfolgt, und die heutige Weise der Rede nahe daran kommt, eine zweyte Auflage des babylonischen Sprachwirrwarrs zu Tage zu fördern.

Die Götter aber begnügen sich nicht, so in der griechischen wie germanischen Mythe, die Menschen mit der Kenntniß dessen, was ihrem irdischen wie einstigem Seyn im Jenseits frommt, auszustatten, sie unternehmen auch Wanderungen auf der Erde, um die Menschen zu prüfen, und hier ist es besonders die Gastfreundschaft, welche als Probirstein dient, in wie weit die Idee heidnischer Nächstenliebe zum Ausdrucke gelangt sey.

In christlichem Gewande meldet das Gleiche dieLegende von den Wanderungen des Herrn mit den Aposteln, vorzugsweise mit Petrus. Erscheint der letztere damit als Stellvertreter sämmtlicher Zwölfboten, so ist er hinwider Repräsentant alles Menschli chen gegenüber der göttlichen Allmacht, Weisheit und Güte. In St. Petrus zeichnet sich neben leicht erregbarem Mitleide an unrechter Stelle jenes vorschnelle Verdammen, welches nur auf äusserm Scheine beruht, somit die Herrschaft augenblicklicher Stimmung. Sein Selbstvertrauen wird gar oft durch den übeln Erfolg enttäuscht, seine Pfiffigkeit nicht selten beschämt. Für seine Redseligkeit und Neugier findet sich aller Orten stets bereite Gelegenheit und eine gewisse Art von Communismus läßt ihn nicht verlegen wählen unter den Mitteln zum Zwecke. Er ist Bild menschlicher Unvollkommenheit [293] und Schwäche. Nur selten und leise mischen sich diesen Legenden Anklänge heidnischer Mythe bey.

Uebrigens, meynt mein Erzähler, ein Handwerksgeselle, lasse sich nicht verkennen, daß Unser Herr seine Zeit klug berechnet habe. Heut zu Tage möchte seinen Wanderungen mehrfaches Hinderniß in den Weg treten und, so er für seine philanthropischen Ausflüge die Kulturstaaten ohne genügende Baarschaft und förmlichen Ausweis zum Ziele nehmen wollte, zu gewärtigen seyn, daß er in seine Heimat zurück geschoben würde.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Dritter Theil. Vierzehntes Buch. Himmel. 3. Die Götter auf Erden. 3. Die Götter auf Erden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-E997-9