[199] §. 11. Der Wasserfräulein Liebe.

1.

Ein Burgvogt befragt, warum er so lange nicht heirate, gab zur Antwort, er habe einst geträumt und im Traume ein Mädchen gesehen, so schön und lieb, wie er noch keines bisher gefunden, sie stehe nun immer vor seiner Seele; er wisse noch Alles ganz genau und würde selbst die Gegend erkennen, wo er im Traume sie gesehen.

Einmal mußte er im Auftrage seines Herrn eine Reise unternehmen. Nachtherberge fand er auf einem Schlosse im Gartenhause. Es war eine schöne, mondhelle Nacht, und da er nicht schlafen konnte, ging er hinaus in den Garten. Am Ende eines Laubenganges befand sich ein Springbrunnen. In diesen schaute er eine Zeitlang hinein und glaubte plötzlich die Jungfrau, welche ihm im Traume erschienen war, imWasserspiegel zu erkennen. Nachdenkend kehrte er zurück, und es war ihm hierbey, als ginge die Jungfrau vor seinen Augen einher. Er öffnete die Thüre des Gartenhauses, und war überrascht, dieselbe Jungfrau im Gemache zu erblicken. Nicht lange währte das Gespräch zwischen Beyden, so trug ihr der Vogt seine Hand an, und sie blieb sofort bey ihm, als wäre sie schon längst sein Weib. Am Morgen aber hatte der Vogt Reue, daß er sie über Nacht bey sich behalten. Da lächelte sie und tröstete ihn. »Sey ruhig,« sprach sie, »es hätte [200] ja doch einmal seyn müssen. Deine Formen sind nicht die meinen; ich bleibe bey dir; doch frage mich nie um meine Herkunft!« Dabey langte sie in die Falten ihres weiten Kleides und reichte dem Erstaunten einen reichen Schatz an Perlen und Edelsteinen daraus hervor.

So lebten sie glücklich zusammen. Das Glück erhöhten ihre Kinder, die sie ihm gebar. Als sie aber mit dem siebenten Kinde schwanger ging, überkam sie grosse Angst, und als der Knabe geboren war, wendete sie ihm eine Sorgfalt und Zärtlichkeit zu, wie keinem der früheren Kinder. Der Knabe war so zum jungen Mann von 25 Jahren gereift. Da vernahm der Vater von ihrem Munde das Geheimniß, das seither so schwer auf ihr geruht hatte. »Du mußt wissen,« hub sie an, »daß ich eine Wasserfrau bin. Sieben Kinder habe ich geboren, sechs gehören dir, dassiebente habe ich versprochen, nach 25 Jahren dem Wasser als Tribut zu opfern, um die anderen sechse dir zu retten. Nun soll ich von meinem Sohne mich trennen, der mir der liebste ist.«

Da beriethen sich die Gatten und beschlossen, den Sohn auf Reisen zu senden, ihn aber vor dem Wasser zu warnen. Also verließ der Sohn die Heimat und ging hinaus in die weite Welt, stets das Wasser vermeidend. Doch einmal vermochte er es nicht, der Warnung der Mutter zu gehorchen; einem schönen Mädchen zu Gefallen unternahm er eine Wasserfahrt. Heiter und schön war der Himmel, ruhig wie ein Spiegel der [201] See. Plötzlich aber begann das Wasser zu wogen und zu brausen; es warf das Schifflein auf und nieder, so daß Alle gedachten, ihre letzte Stunde sey gekommen. Wollte der Jüngling Hand anlegen, das Schifflein zu lenken, tobten die Wogen noch unbändiger. Um die Anderen zu retten, sprang er hinaus in die stürmische Fluth, und sogleich sah man ihn von einem schönen Frauenarm umschlungen und in die Tiefe gezogen. Er befand sich in den Armen einer schönen Wasserfrau und bedurfte keiner Ueberredung, bey ihr zu verbleiben; so sehr hatte ihn ihre Schönheit gefesselt. Doch mit Trauer gedachte er der Mutter zu Hause und erhielt das Versprechen, daß er sich ihr alle vier Wochen zeigen dürfe, indem er den Kopf über das Wasser erhebe. Zu gleicher Zeit sollte auch der Mutter Meldung geschehen, wo ihr Sohn sey, und daß sie ihn alle vier Wochen sehen werde, obwohl sie durch ihre Wortbrüchigkeit solche Gunst nicht verdient habe.

Der Sohn aber gedachte bald nicht mehr der Mutter, noch weniger der Zeit, wo er sich ihr zeigen könne; wohl mahnte den Liebetrunkenen die Wasserfrau. Doch er meynte immer, die Zeit sey noch nicht hiefür gekommen, wie denn die Zeit da unten eine ganz andere ist als bey uns. Erst als ihm ein Knabe geboren wurde, gedachte er seiner Pflicht, und wollte hinauf an den Wasserspiegel, um die Mutter zu sehen. Er vermochte es nicht mehr. So war ihm auch das siebente Kind geboren. Da wollte er sich nicht mehr zurückhalten lassen: er näherte sich der Wasserfläche und [202] sah ein Schifflein fahren. Drinnen saß eine jugendliche Braut, mit den Zügen seiner Schwester. Da legte er sein Ohr an den Kahn, und vernahm, die Braut sey die Tochter seiner Schwester. Ueberwältiget von Sehnsucht nach den Seinigen auf der Erde, erhob er das Haupt über die Wasserfläche. Die Braut erkannte ihn. Er aber stieß einen Schrey aus und verschwand. Zur Stelle zeigte sich eine Blutlache.

Eines Tages ging die Mutter, traurig über das unbekannte Schicksal ihres Sohnes, im Garten. Da lag die Leiche ihres Sohnes am Brunnen. Nun ward ihr klar, was geschehen war. Auch ihre Zeit war um. Sie ergriff die theure Leiche und stürzte mit ihr in den Brunnen. Von Beyden ward nichts mehr gesehen.

So hatte die Wasserfrau sieben Kinder gewonnen, und durch den Wassertod des Siebenten für sich die Erlaubniß, auf neue drey Jahrhunderte schön und jung zu bleiben. Neuenhammer.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Zweyter Theil. Zehntes Buch. Wasser. 2. Wassergeister. 11. Der Wasserfräulein Liebe. 1. [Ein Burgvogt befragt, warum er so lange nicht heirate, gab zur]. 1. [Ein Burgvogt befragt, warum er so lange nicht heirate, gab zur]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-EC6E-D