2.

Ein Ritter und seine Frau, sehr reich an Gütern dieser Welt, hatten nur Ein Kind, einen Knaben. Als dieser zwölf Jahre zählte, starb der Vater, und die Mutter zog mit ihrem Kinde auf eine Burg, die in Mitte eines Sees stand, um von der Welt abgeschieden ganz ihrer Trauer leben zu können. Der Knabe aber wuchs und nahm zu an Schönheit und Verstand; doch war er immer so bleich und in sich gekehrt; er liebte es, allein zu seyn, und hatte sich daher das Zimmer gewählt, welches am entlegensten die schönste Aussicht [203] auf den See gewährte. Träumerisch schaute er immer hinaus in den See. Als er 24 Jahre alt war, drang die Mutter in ihn, sich eine Braut zu wählen; ihr war das Leben zu einsam geworden. Er aber wollte nicht. Eines Abends, nachdem die Mutter recht ernstlich in ihn gedrungen war, lehnte er sich betrübt an das offene Fenster und sah den Mond gar lieblich im Wasser sich spiegeln. Da gedachte er einer Braut und wie sie aussehen müsse, ihm zu gefallen. Ermüdet ging er zu Bette, vergaß aber, das Fenster zu schliessen. Plötzlich bemerkte er einen lichten Schein am Fenster; er blickte auf, konnte aber nichts unterscheiden. Schon wollte er einschlummern, da rauschte der Vorhang des Bettes und ein weibliches Wesen mit Seidenhaaren und leichten Gewändern lag an seiner Seite. Der matte Schein des Mondes gestattete ihm so viel, daß er ein bleiches wunderschönes Frauenhaupt neben sich bemerken konnte. Sie schmiegte sich an ihn und in liebendem Spiel und Gespräche verging die Nacht. Am Morgen war das Frauenbild verschwunden. Kurz vorher hatte sie ihm eröffnet, daß sie wieder kommen werde: denn oft habe sie ihn gesehen, wie er im Mondenlichte hinausgeblickt auf den See, und sie wäre schon früher zu ihm eingetreten, wenn die Fenster offen geblieben wären.

So lag jede Nacht ein Frauenbild an seiner Seite, und glücklich war er in dieser Liebe. Nun meynte er, es sey nicht immer dasselbe Wesen, welches mit ihm das Bett theile. Um so mehr bat er, sie möge sich bey[204] Tage zeigen, seine Mutter dringe in ihn, daß er ein Weib nehme; möge sie auch arm seyn, er werde sie zum Altare führen. Sie aber entgegnete immer: »Mein Lieber, das kann nicht seyn; ich kann mich nicht trauen lassen nach deiner Weise; laß mich dein Weib seyn, wie ich es bisher war.« Indessen hatte sich die Mutter selbst um eine Braut für den säumigen Sohn umgesehen; doch sie ließ ihn kalt, und als er Abends zu Bette ging, seufzte das Frauenbild. Die Mutter aber eilte und bestimmte den Tag der Hochzeit. Er kam. Am ersten Tage wurde getanzt bis an den Morgen, den zweyten füllten Bankete aus, am dritten führten die Frauen die Braut in sein Gemach. Als sie eintraten, rauschten die Vorhänge an der Himmelbettstatt; die Braut erschrack. Sie sollte zuerst das Bett besteigen, und glaubte es schon besetzt zu finden. Lachend über ihre Aengstlichkeit folgte der Bräutigam nach. Aber zwischen beyden lag die Wasserfrau. Von eisigem Athem angeweht wich die Braut an den äussersten Rand. So war es jeden Abend. Der Ritter vermeynte seine Braut im Arme zu haben, die Braut aber härmte sich ab und starb noch vor Jahresfrist als Jungfrau.

In gleicher Weise erging es noch zehn Frauen, welche die Mutter dem Sohne gesucht: alle starben vor Jahresfrist. Die zwölfte Braut aber war klug, und erholte sich Rathes bey einer Hexe. Von dieser erfuhr sie, wie Wasserfrauen Schuld seyen an dem Unglücke der früheren Bräute: sie könne sich aber schützen, wenn sie am dritten Tage der Hochzeitfeyer ihren Gatten nicht [205] vor Ende der Geisterstunde begleiten würde; sie solle ihm nicht folgen, um ihn und sich zu retten; er werde zwar um die Mitternachtsstunde meynen, es ziehe ihn bey den Haaren hinaus in sein Schlafgemach: sie solle aber standhaft bleiben; ferner möge sie nicht unterlassen, das Fenster gegen den See schliessen zu lassen, ja recht fest, damit die Geister nicht hereinkönnen. Der Gatte werde sich dann von klagenden Tönen angezogen fühlen, es werde ihn drängen hinauszuspringen in die Fluthen. Dafür ward sie mit einem Zauberspruche bewahrt, und mit Kräutern, welche sie unter das Bett werfen solle. Noch ward ihr die Warnung, ja nicht vor ihrem Gatten die Vorhänge des Bettes auseinander zu ziehen und dieses zu besteigen, sowie Alles, was sie gehört, für sich als Geheimniß zu bewahren, es würde sonst unfehlbar ihr Gatte sich wieder in die Gewalt der Wasserfrauen begeben.

Nun kam der dritte Hochzeittag. Es ward Abend, Mitternacht. Immer unruhiger zeigte sich der Gatte; es hatte ihn schon angewindet. Immer wollte er fort; die Braut hielt ihn zurück, bis Mitternacht lange vorüber war. Im Schlafzimmer angelangt, öffnete er die Bettvorhänge: da seufzte es zwölfmal. Die Braut sprach ihren Zauberspruch, und betete mit ihrem Gatten; seit zwölf Jahren hatte dieser nicht mehr an Gott gedacht. Nun vernahmen sie wilden Gesang und Brausen des Wassers. Der See stieg, daß die Wellen an dem Fenster leckten. Aber die Nacht war gewonnen und der Friede eingekehrt für immer.

[206] Nach Umlauf eines Jahres gebar die Burgfrau; es war ein Knabe und groß der Jubel. Die Hexe aber hatte gerathen, die Mutter solle das Kind vor dem zwölften Tage nicht aus der Hand geben; die Zwölfzahl drohe dem Hause Gefahr. So ward das Kind am dreyzehnten Tage getauft. Während der Taufe vernahmen sie aus den Ecken des Zimmers Kinderstimmen und die Worte: »Ich möchte es auch, ich möchte es auch.« Doch wurde nichts gesehen. So gebar sie nach und nach zwölf Kinder. Bey jeder Taufe aber liessen sich die Stimmchen hören. Als nun das zwölfte Kind getauft wurde, ermannte sich die Mutter und rief: »Wenn ihr wollt, so kommt hervor!« – und sogleich traten zwölf Kinder, bleich, aber schön, mit Seidenhaaren, die Füsse verbunden, hervor: sie sahen so wasserfarbig aus. Der Graf erschrack, der Priester taufte sie, und sowie eines die Taufe empfangen hatte, fiel es zusammen und war tod. Das letzte der zwölf Kinder aber sprach noch zuvor: »Ein Mensch ist unser Vater, zwölf Wasserfrauen aber sind unsere Mütter. Wir sind nicht Mensch, nicht Geist, nun aber erlöst aus dem Banne, in dem wir lagen. Die Wasserfrauen haben sich durch die Liebe zu unserm Vater auf weitere dreyhundert Jahre Schönheit und Jugend erkauft!«

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Zweyter Theil. Zehntes Buch. Wasser. 2. Wassergeister. 11. Der Wasserfräulein Liebe. 2. [Ein Ritter und seine Frau, sehr reich an Gütern dieser Welt, hatten]. 2. [Ein Ritter und seine Frau, sehr reich an Gütern dieser Welt, hatten]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-EEC6-8