[307] 312. Der verrufene Posten zu Landau.

Von J.B. Goßmann.


Landau, reiche Pfälzerdirne, hast gehabt schon viele Freier,
Alle kamen, dich umbuhlend, wie die Raben, wie die Geier;
Mit Geschützen, großen, kleinen, stolz auf Wagen, stolz auf Rossen,
Mit Gerassel, mit Geschmetter kamen sie herangeschossen.
Wenn Musketenkugeln flöten, wenn Kanonen Grundbaß geigen,
Wenn im Takte Bomben tanzen, heißt dir das ein Hochzeitreigen?
Müssen jetzt auch deine Kugeln, dein Korallenschmuck, dir rosten,
Manches bleibt an dir poetisch, so auch dein verrufner Posten.
Wenn die Trommel durch die Gassen Zapfenstreich einmal geschlagen,
Will es draußen an der Schanze keiner Wache mehr behagen;
Denn da kommt's herangeschlichen oft mit geisterhaftem Flüstern,
Und dem Spuk ins Aug' zu schauen ist der Kühnste selbst nicht lüstern.
Werda! rief entgegen Mancher. Antwort wird ihm nicht gegeben.
Werda! zwei- und werda! dreimal. Will er dann die Waff' erheben,
Will sein Bajonnet gebrauchen oder an zum Schießen legen,
Kommt es plötzlich aus dem Dunkel, tritt es warnend ihm entgegen.
Weh! es starrt aus hohlen Augen dem Beherzten eine Leiche
Blutig, fahl und schwarzgebartet, in's Gesicht, das schreckenbleiche,
Nur drei Schritte vor ihm stehend. Langsam streckt es dann die Arme
Nach dem Himmel, flehend, jammernd, daß sich seiner Gott erbarme!
Deutet dann auf eine Wunde, die da blutig klafft am Herzen,
Wimmert, ach! so bang, so kläglich, wie gequält von Höllenschmerzen,
Will ihm winken, ihm zu folgen, doch dazu ist keiner lüstern,
Und verschwindet, wie's gekommen, hinter altergrauen Rüstern. –
Ein Major, ein Navarrese, lebte hier in jenen Jahren
Da die Bürger deutsch, die Mauern aber doch französisch waren,
Grausam war er, ohn' Erbarmen, streng und barsch im Dienst wie Keiner,
Darum fürchtet ihn wohl Jeder, doch es liebt ihn auch nicht Einer.
Nächtlich springt er oft vom Lager, mit dem Mantel sich umhüllend,
Mit dem Degen sich umgürtend, tückisch seinen Dienst erfüllend;
Schleicht herum bei allen Posten, spähend, ob sie treulich wachen,
Schleicht herum an jedem Wachthaus, ob sie zechen nicht und lachen.
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Weh' und Allen wehe, fand er Eines nicht im rechten Gleise,
Eingesperrt und krummgeschlossen auf die unerhört'ste Weise
Ward auf Tage, ward auf Wochen oft in feuchten, dunkeln Kammern
Unteroffizier und Mannschaft, wo sie tauben Wänden jammern.
Und er späht nur immer listig, wie er den und den versuche,
Nicht belud er sich mit Segen, doch dafür mit manchem Fluche.
Drückten auch die vielen Flüche weder Schulter ihm noch Lende,
Drückten sie doch so gewaltig, daß er fand ein schlimmes Ende.
Oftmals, wenn den finstern Himmel trübe Wolken schwarz bedecken,
Weiß er nah heranzuschleichen, weiß zu necken, weiß zu schrecken
Bei Rekruten, jüngern Burschen, liebt er als Gespenst zu wandeln
Aber läßt sich Einer täuschen, schrecklich dann ihn zu behandeln.
Ob es oft ihm auch gelungen, einmal hat's ihm fehlgeschlagen,
Daß ihm alle Lust vergangen Solches noch einmal zu wagen.
»Werda!« ruft ihm keck und trutzig Einer zu von seinen Mannen,
Da er wieder kam geschlichen – und begann den Hahn zu spannen.
»Werda? Sei's der Teufel selber!« Und er tritt ihm muthig näher,
Doch auch diesmal bleibt sein »Gut Freund« schuldig der verschmitzte Späher,
»Werda? Nun zum Letztenmale!« – Still. – »Da ist es nicht geheuer!«
So der unerschrockne Bursche, legt entschlossen an, gibt Feuer. –
Hört es stöhnen, sieht es sinken. Wieder hat er schnell geladen
Doch da kommen von dem Schusse hergeführt die Kameraden,
Seh'n beim Schein der Wachtlaterne, in Verwirrung, in Verstummung
Einen, den sie nicht vermuthet in gespenstiger Vermummung.
Wenn sie auch ihn zu erwecken allesammt sich Mühe geben,
In die Lungen will kein Athem, in die Glieder will kein Leben,
Ach! die Hand ist schon erkaltet, ach! das Auge schon gebrochen,
Und der Mund, so blaß und blutig hat kein Wörtlein mehr gesprochen.
Wäre wohl ein kaiserlicher Marschall noch dereinst geworden,
Hätte können sich beladen schwer mit Gold und Ruhm und Orden!
Aber sieh! der rasche Jüngling hat dem Herrn Major inmitten
Seiner Bahn den Lebensfaden unerbittlich abgeschnitten.
Weil er nun in seinen Sünden ohne Reue hingefahren,
Argen Frevels oftmals schuldig, spukt er schon seit vielen Jahren,
Wird vielleicht noch lange wandeln, bis es Einem wird gelingen
Den das Schicksal hat berufen, ihn zur ew'gen Ruh zu bringen. –
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Landau, reiche Pfälzerdirne, lasse Freierei und Freier,
Einer hat dein Herz erobert, bleibe du ihm treu – dem Bayer,
Bist schon vorgerückt an Jahren, sei deßwegen nicht verdrossen,
Wenn sie nimmer dich umstürmen stolz auf Wagen, hoch auf Rossen.
Gönne deinen jüngern Schwestern lieber jenen Hochzeitreigen
Wo Musketenkugeln flöten, wo Kanonen Grundbaß geigen
Mögen, statt um dich zu tanzen, friedlich deine Bomben rosten,
Könnte Poesie dir fehlen, bleibt dir dein verrufner Posten.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. 312. Der verrufene Posten zu Landau. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F5E8-3