297. Das Bannkraut.

Die vor. Schrift S. 145.


Im Waldesdunkel auf gewissen Berghöhen wächst ein Kraut, das allen Zauber löst. Wo ein Anderer nur einen Haufen glühender Kohlen erblickt, sieht der Besitzer des Krautes blankes Gold – und was das Kraut berührt, ist der Gewalt der Erdgeister entzogen. Darum bewachen sie auch das Kraut, und obwohl sie nicht im Stande sind, geradezu dessen Abbrechen zu verhindern, so wissen sie doch dem, der es sucht, so vielen Spuck in den Weg zu werfen, daß er nur selten zu seinem Ziele gelangt. Und das Kraut ist nur einmal im Jahre, in der heiligen Christnacht, während es zwölf Uhr schlägt, zu brechen, und es darf der, welcher es holt, auf dem Wege nicht beschrieen werden und er muß stumm bleiben, bis er wieder heimgekommen.

Es ist nicht gar lange, da lebte zu Faulenbach ein Mann, der war ganz erpicht auf Dinge, die man weit besser unerforscht läßt. Er suchte auf den Friedhöfen in die Geheimnisse des Jenseits einzudringen, er spürte an verrufenen Orten den unheimlichen Wesen nach, die da hausten, und kein Zaubermittel, kein bannender Spruch war ihm unbekannt. Aber sein Ziel, ein reicher Mann zu werden, hatte er noch nicht erreicht. Er war Wirth und wußte recht gut, daß es, wenn in der heiligen Christnacht um zwölf Uhr der junge Wein aus dem Fasse steigt, ein gutes, wenn er aber sinkt, ein schlechtes Weinjahr bedeutet, aber er hatte nicht hinreichend Geld, um im letzteren Falle zu rechter Zeit erkleckliche Weinvorräthe einzukaufen. Er wußte auch, daß zu derselben heiligen Zeit aus gewissen[290] Quellen Wein fließt, allein in den wenigen Augenblicken, in welchen die Mitternachtsglocke schlägt, läßt sich nicht viel Wein schöpfen, und es ist eben auch damit nicht zu scherzen: war doch kurz vor jener Zeit erst ein Mann dabei sehr übel gefahren. Der hatte auch in der heiligen Christnacht eine Quelle, wo Wein fließen sollte, glücklich unbeschrieen erreicht, und als es zwölf Uhr schlug, trank er und rief freudig aus:


Alleweil 1 trink ich Wein!


Aber ein Krallenfuß packte ihn, der das Gebot des Schweigens gebrochen hatte, am Genick, eine Donnerstimme rief:


Alleweil bist Du mein!


und der Mann ward nicht mehr gesehen.

Dem Faulenbacher Wirth ward bekannt, daß auf dem Kühlberge das Kraut wuchs, das allen Zauber löst. So sehr es ihm nach seinem Besitze gelüstete, hatte er doch lange gezögert, es zu holen, denn er sah voraus, daß er mit allen Schrecken der Unterwelt zu kämpfen haben werde, wenn er es erlangen wollte. Endlich aber überwand die Geldgier alle Bedenklichkeiten und in der nächsten heiligen Christnacht machte er sich auf den Weg.

Der Kühlberg ist ein mäßiger Berg zwischen Faulenbach und Stadt-Prozelten; die Aussicht ist dort prachtvoll, aber der Boden ist schlecht und nährt nur nothdürftig traurige Kiefern; in ihrem Schatten wächst das Zauberkraut.

Der Mann hatte den Wald kaum betreten, da wälzte sich ihm ein Ding entgegen, das er nicht recht zu erkennen vermochte, das aber so gräulich war, daß es auch einem beherzten Manne Schrecken einjagen konnte. Aber er ließ sich nicht einschüchtern, und als das Ungethüm bis zu seinen Füßen kollerte, faßte er sich schnell und sprang darüber weg. Ohne sich umzusehen eilte er weiter, aber bald trat ihm in der Enge des Weges ein schwarzer Mann entgegen hoch wie ein Kirchthurm. Neben vorbei war kein Raum und an das Ueberspringen war ohnehin nicht zu denken; der Riese kam mit so gewaltigen Schritten auf ihn los, daß seine Beine gleichsam einen Thorbogen bildeten – und schnell schlüpfte der Mann durch und kam unverletzt davon. – Schon nahte er sich der [291] Stelle, wo das gesuchte Kraut wachsen mußte und er glaubte sich schon am Ziele, als von allen Seiten Kriegsknechte zu Roß und zu Fuß heranrückten und drohend gegen ihn die Waffen schwangen. Er ließ auch da seinen Muth nicht sinken und schlüpfte bald an einem Ritter, bald an einem Fußknechte vorbei; aber es stellten sich ihm stets neue Schaaren entgegen – und als sie endlich ihre Reihen lichteten und er eben den Letzten hinter sich hatte, schlug es zwölf Uhr. – Der Spuck verschwand, aber auch die kostbare Zeit war verschwunden und unverrichteter Dinge und todesmatt schlich der Mann seiner Heimath zu.

Als am andern Morgen den Mann, der den tiefen Schlaf gänzlicher Erschöpfung schlief, seine Leute wecken wollten, bebten sie erschrocken zurück, denn die einzige Nacht hatte aus dem kräftigen Manne im besten Lebensalter einen hinfälligen Greis mit weißen Haaren gemacht. Er hat seinen Verwandten, deren Kinder zum Theil noch leben, oft die Geschichte zum warnenden Beispiel erzählt.

Fußnoten

1 Jetzt.

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TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Erster Band. 297. Das Bannkraut. 297. Das Bannkraut. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F6D6-1