[190] 188. Volkslied von der Herzogin von Orlamünde.

Waldenfels antiqq. sell. I. XII. p. 465.Wunderhorn II., 232.


Albert Graf von Nürnberg spricht:
»Herzogin ich liebe nicht;
Bin ein Kind von achtzehn Jahren
Und im Lieben unerfahren,
Würde dich zum Weib ich nehmen,
Doch vier Augen mich beschämen;
Wenn nicht hier vier Augen wären,
Die das Herze mein beschweren.«
Orlamündens Herzogin
Spricht zu sich in ihrem Sinn:
»Wittwe bin ich schön vor allen,
Aller Fürsten Wohlgefallen;
Wenn nicht hier vier Augen wären,
Würde seine Lieb' mich ehren.
Kinder ihr vom schlechten Mann,
Der mich hielt im strengen Bann.
Weil ihr meine Land ererbet
Wenn ihr nicht unmündig sterbet.«
Also Oel in Flammen wüthet,
Das statt Wasser aufgeschüttet.
Also deutet sie die Rede
Auf zwei eigen Kinder schnöde,
Die im Saal zum Spiel abzählen
Unter sich den Engel wählen.
»Engel, Bengel, laß mich leben
Ich will dir den Vogel geben.«
Nadeln aus dem Wittibschleier
Zieht sie, daß er falle freier,
Zu dem wilden Hager spricht:
»Nimm die Nadeln und verricht,
Schwarzer Hager, du mein Freier
Fürchtest nicht den schwarzen Schleier,
Fürchtest du nicht auch vier Augen,
Die zum Zusehn auch nicht taugen,
Setz' dich mit zu ihren Spielen,
Daß sie keine Schmerzen fühlen,
Daß die Wunden niemals sprechen,
Mußt du in das Hirn sie stechen.«
Herkules zum Hager spricht,
Eh' der ihm das Hirn einsticht:
»Lieber Hager, laß mich leben,
Will dir Orlamünde geben 1,
Auch die Plassenburg, die neue,
Und es soll mich nicht gereuen.«
Herula zum Hager spricht,
Eh' er ihr das Hirn einsticht:
»Lieber Hager, laß mich leben,
Will dir meine Docken geben,
Engel, Bengel, laß mich leben,
Will dir meinen Vogel geben.«
Hager sich als Mörder nennt,
Eh' er sich das Hirn einrennt.
»Gott, ach Gott, wo werd' ich ruhen,
Höre schon den Vogel rufen,
Gott, ach Gott, wo soll ich fliehen,
Sehe schon den Vogel ziehen.«
[191]
Albert spricht zur Herzogin,
»Das war nicht der Rede Sinn,
Meinte unsre eignen Augen,
Wie wir nicht zusammentaugen.«
Beide Kinder unverweset
Liegen noch im Marmorsarge,
Als wär' heut der Mord gewesen,
Recht zum Trotze allen Argen.

Fußnoten

1 Var: Will dir Norden und Nisden geben.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Erster Band. 188. Volkslied von der Herzogin von Orlamünde. 188. Volkslied von der Herzogin von Orlamünde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F742-7