963. Wie Graf Michael von Wertheim zu Lengfurt gerettet worden.

Mündlich.


Graf Michael von Wertheim lag mit mächtigen Feinden im Hader. Lange Zeit war das Kriegsglück auf seiner Seite, eines Tages aber sollte das Blättlein gewendet werden. Mitten im Kampfe ergriffen die Mannen des Grafen die Flucht, der Graf aber wollte nicht weichen und kam endlich in Gefahr, von den Seinigen abgeschnitten und von den Feinden umzingelt zu werden. In diesem Augenblicke machte er sich mit blitzenden Schwertschlägen Luft und entkam noch durch die Schnelligkeit seines Rosses dem Gedränge der Feinde, die ihn jedoch mit gleicher Schnelligkeit bis an die Thore von Lengfurt verfolgten. Leider fanden sich diese geschlossen, der [36] Graf aber besann sich nicht lange, stieg auf seinen Schimmel und schwang sich mit einem kühnen Satze über die Mauer hinüber. Drüben sah ihn ein Lengfurter Bürger mit nicht geringer Verwunderung auf diesem seltsamen Wege in das Städtlein einrücken. Der Graf gab ihm schnell zu verstehen, wie die Feinde hinter ihm wären, und er sollte ihm schleunigst zu einem sicheren Unterkommen verhelfen, gleichviel in welchem Winkel oder Loche es sei. Nun wußte der Lengfurter in der Geschwindigkeit keinen andern Rath, als der Herr Graf sollte einen Platz im Stalle neben den Schweinen einnehmen. In solchem Versteck würde der feindliche Schwarm keinen Grafen suchen. Gesagt, gethan. Der Wertheimer kroch zu den Vierfüßern, sein Beschützer aber sann auf eine List, wie er die anrückenden Verfolger des Grafen auf Abwege bringen könnte. Die ließen nicht lange auf sich warten; der Lengfurter aber hatte es darauf angelegt, daß er der erste war, den sie angreifen mußten. Auf ihre Fragen, ob nicht eben einer durch Lengfurt oder vorbeigekommen? wußte der Bürger guten Bescheid: er habe allerdings einen stattlichen und wohlgerüsteten Mann durchlaufen sehen, derselbe habe Wertheims Farbe getragen, sei dem Maine zugeeilt, durch den Strom geschwommen und am jenseitigen Ufer verschwunden. »Hätte ich gewußt,« setzte er hinzu, »daß ich euch zu Nutzen sein könnte, so wollte ich gern das Vöglein gefangen haben.« Darüber erzürnten sich aber die Kriegsknechte, schalten ihn wegen seiner Dummheit und prügelten ihn wacker, was der Gute tapfer für seinen Herrn erduldete.

Anderen Tages, nachdem der Feind arg in Lengfurt gehauset, auch sich mit Beute genugsam beladen hatte, verließ er wieder das Städtchen. Voll Jubel eilte nun der treue Lengfurter zu seinem Stalle, riß die Thüre auf und verkündigte dem Herrn Grafen, wie daß er gerettet sei und an's Tageslicht vorkommen sollte. Da umarmte der Graf seinen edlen Retter und dankte Gott auf den Knieen für so wunderbare Hülfe. Darauf kam Alt und Jung aus dem ganzen Orte zusammen und freute sich, ihren Herrn und Grafen wohlbehalten zu sehen. Der Graf gebot, die Familie seines Retters in Zukunft mit dem Namen: die Frommen zu ehren, auch diesen Namen in's Wappen zu setzen. Endlich sollte das Haus seines Beschützers von jeglicher Last frei sein für alle Zeiten und über der Thüre des Stalles, in welchem der Graf gelegen, das gräfliche Wappen errichtet werden. Darauf wurde ein fröhliches Fest für die Bürgerschaft veranstaltet, welches eine ganze Woche lang dauerte. Auch wurde dabei mancher Schlafkamerad des Herrn Grafen gebraten auf die Tafel gebracht. Noch lange [37] Zeit zeigte man das Wappen über dem Stalle, sowie einen Denkstein, welcher die Stelle bezeichnete, wo der Graf über die Mauer Lengfurts gesprungen war.

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TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Dritter Band. 963. Wie Graf Michael von Wertheim zu Lengfurt gerettet worden. 963. Wie Graf Michael von Wertheim zu Lengfurt gerettet worden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-FC92-B