Der ewige Jude

Eine lyrische Rhapsodie.


Aus einem finstern Geklüfte Karmels
Kroch Ahasver. Bald sind's zweitausend Jahre,
Seit Unruh' ihn durch alle Lande peitschte.
Als Jesus einst die Last des Kreuzes trug,
Und rasten wollt' vor Ahasveros Thür';
Ach! da versagt' ihm Ahasver die Rast,
Und stieß den Mittler trotzig von der Thür:
Und Jesus schwankt' und sank mit seiner Last.
Doch er verstummt. Ein Todesengel trat
Vor Ahasveros hin und sprach im Grimme:
»Die Ruh' hast du dem Menschensohn versagt;
Auch dir sei sie, Unmenschlicher! versagt,
Bis daß er kömmt!«
Ein schwarzer höllentflohner
Dämon geißelt nun dich, Ahasver,
Von Land zu Land. Des Sterbens süßer Trost,
Der Grabesruhe Trost ist dir versagt!
Aus einem finsteren Geklüfte Karmels
Trat Ahasver. Er schüttelte den Staub
Aus seinem Barte, nahm der aufgethürmten
Todtenschädel einen, schleudert' ihn
Hinab vom Karmel, daß er hüpft' und scholl
Und splitterte. »Der war mein Vater!« brüllte
Ahasveros. Noch ein Schädel! Ha,
Noch sieben Schädel polterten hinab
Von Fels zu Fels! »Und die – und die« mit stierem,
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Vorgequollnem Auge rast's der Jude:
»Und die – und die – sind meine Weiber – Ha!«
Noch immer rollten Schädel. »Die und die,«
Brüllt' Ahasver, »sind meine Kinder, ha!
Sie konnten sterben! – Aber ich Verworfner,
Ich kann nicht sterben! Ach, das furchtbarste Gericht
Hängt schreckenbrüllend ewig über mir.
Jerusalem sank. Ich knirschte den Säugling,
Ich rannt' in die Flamme. Ich fluchte dem Römer;
Doch, ach! doch, ach! der rastlose Fluch
Hielt mich am Haar, und ich starb nicht.
Roma, die Riesin, stürzte in Trümmer;
Ich stellte mich unter die stürzende Riesin,
Doch sie fiel und zermalmte mich nicht.
Nationen entstanden und sanken vor mir;
Ich aber blieb, und starb nicht!
Von wolkengegürteten Klippen stürzt' ich
Hinunter ins Meer; doch strudelnde Wellen
Wälzten mich ans Ufer, und des Seins
Flammenpfeil durchstach mich wieder.
Hinab sah ich in Aetnas grausen Schlund,
Und wüthete hinab in seinen Schlund:
Da brüllt' ich mit den Riesen zehn Monden lang
Mein Angstgeheul, und geißelte mit Seufzern
Die Schwefelmündung. Ha! zehn Monden lang!
Ich Aetna gohr und spie in einem Lavastrom
Mich wieder aus. Ich zuckt' in Asch', und lebte noch!
Es brannt' ein Wald. Ich Rasender lief
In brennenden Wald. Vom Haare der Bäume
Trof Feuer auf mich –
Doch sengte nur die Flamme mein Gebein
Und verzehrte mich nicht.
Da mischt' ich mich unter die Schlächter der Menschheit,
Stürzte mich dicht ins Wetter der Schlacht,
Brüllte Hohn dem Gallier,
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Hohn dem unbesiegten Deutschen:
Doch Pfeil und Wurfspieß brachen an mir.
An meinem Schädel splitterte
Des Sarazenen hochgeschwungnes Schwert.
Kugelsaat regnete herab an mir,
Wie Erbsen auf eiserne Panzer geschleudert.
Die Blitze der Schlacht schlängelten sich
Kraftlos um meine Lenden,
Wie um des Zackenfelsen Hüften,
Der in Wolken sich birgt.
Vergebens stampfte mich der Elephant;
Vergebens schlug mich der eiserne Huf
Des zornfunkelnden Streitrosses.
Mit mir borst die pulverschwangre Mine,
Schleuderte mich hoch in die Luft,
Betäubt stürzt' ich herab und fand mich geröstet
Unter Blut und Hirn und Mark
Und unter zerstümmelten Aesern
Meiner Streitgenossen wieder.
An mir sprang der Stahlkolben des Riesen;
Des Henkers Faust lahmte an mir;
Des Tigers Zahn stumpfte an mir;
Kein hungriger Löwe zerriß mich im Circus.
Ich lagerte mich zu giftigen Schlangen;
Ich zwickte des Drachen blutrothen Kamm;
Doch die Schlange stach, und mordete nicht!
Mich quälte der Drach', und mordete nicht!
Da sprach ich Hohn dem Tyrannen,
Sprach zu Nero: Du bist ein Bluthund!
Sprach zu Christiern: Du bist ein Bluthund!
Sprach zu Mulei Ismael: Bist ein Bluthund!
Doch die Tyrannen ersannen
Grausame Qualen, und würgten mich nicht.
Ha! nicht sterben können! nicht sterben können!
Nicht ruhen können nach des Leibes Mühn!
Den Staubleib tragen! mit seiner Todtenfarbe
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Und seinem Siechthum! seinem Gräbergeruch!
Sehen müssen durch Jahrtausende
Das gähnende Ungeheuer Einerlei!
Und die geile, hungrige Zeit,
Immer Kinder gebärend, immer Kinder verschlingend!
Ha! nicht sterben können! nicht sterben können!
Schrecklicher Zürner im Himmel,
Hast du in deinem Rüsthause
Noch ein schrecklicheres Gericht?
Ha, so laß es niederdonnern auf mich!
Mich wälz' ein Wettersturm
Von Karmels Rücken hinunter,
Daß ich an seinem Fuße
Ausgestreckt lieg' –
Und keuch' – und zuck' und sterbe! –«
Und Ahasveros sank. Ihm klang's im Ohr;
Nacht deckte seine borst'gen Augenwimper.
Ein Engel trug ihn wieder ins Geklüft,
»Da schlaf nun,« sprach der Engel, »Ahasver,
Schlaf süßen Schlaf; Gott zürnt nicht ewig!«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Gedichte. Gedichte. Erzählungen und Verwandtes. Der ewige Jude. Der ewige Jude. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0131-4