Das Verderben der Welt

Wenn auf die verdorbne Welt
Still ein Blick der Seele fällt:
O, so schauert mir die Haut,
Und dem Tode ruf' ich laut.
Laster brausen hoch einher,
Wie die Wogen auf dem Meer,
Unaufhaltsam, wie die Wuth
Jener allgemeinen Fluth.
Auf den schwarzen Wogen thront,
Satan, den die Rache schont;
Denn sie spart auf jenen Tag
Ihren großen Donnerschlag.
Menschen treiben kühnen Spott,
Schwellen auf und lästern Gott;
Und der kaum geformte Thon
Trotzet seinem Töpfer schon.
Wahn und kühner Zweifel macht
Aus dem Tage Mitternacht;
Spötter der Religion
Sprechen Gott und Tugend Hohn.
[262]
Von dem Throne bis zum Pflug
Herrscht Verstellung und Betrug;
Und Verbrecher können nun
Ohne Ahndung Böses thun.
Aufgefressnes Wittwengut,
Und zerquetschter Waisen Blut;
Frevler, unter deren Fuß
Sich die Tugend bücken muß;
Stolz und Heuchelei und Neid
Unter einem frommen Kleid;
Geiz, der in dem Winkel sitzt
Und den Drachenschatz beschützt;
Wilde Lust, die lockend blickt
Und den Geist zur Erde drückt;
Christen, die berauscht und blind
Ihre eigne Henker sind;
Kinder, gegen Lehrer taub;
Jünglinge, der Lüste Raub;
Männerherzen, ohne Muth;
Sünden, die das Alter thut;
Einen Freund, wie Joab ist,
Der mit gift'gen Lippen küßt,
Und mit heitrem Angesicht
Freunde mörderisch ersticht:
Erde, bist du das – und Er
Donnert nicht, der Donnerer?
Mitternacht, o! decke du
Diese Drachenhöhle zu.
Komm, des Schlafes Bruder, Tod!
Lieblich, wie das Morgenroth,
Kühlend, wie der Westwind weht,
Lächelnd, wie ein Blumenbeet.
[263]
Führe mich aus dieser Welt,
Ehe Feuer auf sie fällt;
Reich' mir deine milde Hand,
Bringe mich ins Vaterland.
Todte in den Gräbern hier,
O! wie glücklich seid ihr mir,
Die ihr vor der Laster Wuth
Sanft beschützt im Grabe ruht.

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TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Gedichte. Gedichte. Geistliche Lieder. Allgemeineren Inhalts. Das Verderben der Welt. Das Verderben der Welt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0286-F