[183] Hymnus an die heilige Cäcilia

Für Cäcilie.


Reizendste der Phantasieen,
Die mein trunknes Auge sah,
Mutter süßer Harmonieen,
Du, die Sinn dem Klang verliehen,
Heilige Cäcilia!
Zartgefühl und reines Streben
Hat dein Athem mir gegeben,
Nimm, was ich dir weihen kann,
Harmonie in Wort und Leben,
Himmlische, zum Opfer an!
Ach, die Dämmrung milder Thränen
Und der Sonnenstrahl der Lust,
Ahnung, Glaub' und leises Sehnen,
Alles wiegt auf holden Tönen
Sich ins Heiligthum der Brust.
Was, vom Irdischen entbunden,
In des Anschauns sel'gen Stunden
Nie die reine Seele sah,
Hat sie oft bei dir empfunden,
Heilige Cäcilia!
[184]
Sey mit freundlichem Gesange,
Trösterin, sey mir gegrüßt,
Die im schmeichlerischem Klange
Bei des Lebens heißem Drange
Lindrung in die Brust uns gießt;
Die mit milden Freudenzähren,
Ird'sche Wonne zu verklären,
Den geweihten Blick belebt,
Und den Glanz der ew'gen Sphären
Um der Erde Nebel webt.
Als du an des Lebens Saume
Noch im Arm der Mutter lagst
Und, geküßt vom leisen Traume,
Von des Schlummers goldnem Baume
Dir die ersten Blüthen brachst,
Ach, da schwebten zarte Lieder
Schon zu deinem Ohr hernieder,
Und die keusche Phantasie
Hob mit säuselndem Gefieder
Dich in's Reich der Harmonie.
Lächelnd gab dem zarten Kinde
Ihren Kuß die Huldgöttin,
Daß es, frei von ird'scher Sünde,
Mit dem Schönen sich verbünde
Zu des Herrlichsten Gewinn.
Nur der Hauch der reinen Güte
Nährt des Wohllauts zarte Blüthe,
Wie den Blumenkelch der Tag,
Und ein Mißton im Gemüthe
Klingt auch auf den Saiten nach.
[185]
Und als jetzt in heil'ger Schöne
Ihres Lebens Lenz begann,
Ach, da sprachen alle Töne
Auf des Daseyns bunter Scene
Den verwandten Busen an.
Und der West, der sie umschwebte,
Und die Fluth, die abwärts bebte,
Und des Hains Elysium,
Was im Raum der Erde lebte,
Schuf in Ton und Klang sich um.
Und sie irrte durch's Gefilde,
Irrte träumend durch den Hain,
Und das Hohe wie das Milde
Prägten zaubrische Gebilde
In den reinen Busen ein.
Ach, in ihrem weichen Herzen
Spiegelten sich Lust und Schmerzen,
Und ihr inn'res Wesen schien
Mit dem Schmetterling zu scherzen,
Mit dem Adler aufzufliehn.
Sprich, wie kannst du ihn ertragen,
Diesen Kampf getheilter Lust?
Nein, du mußt im Glück verzagen
Oder auszusprechen wagen,
Was du fühlst in tiefer Brust!
Und sie spannt die goldnen Saiten,
Und die zarten Finger gleiten,
Horch, die Fluth der Klänge schwillt,
Und es dämmert den Geweihten
Der Empfindung erstes Bild.
[186]
Zarter Liebe leises Sehnen,
Sinnend irrst du und allein;
Ruhig willst du gern dich wähnen:
Doch es zeugen deine Thränen
Von der unbekannten Pein.
Ach, wenn mild die Saiten beben,
Und der Brust geheimstes Leben
Leis' im Reich der Kläng' entblüht,
Wird dein Herz den Schleier heben,
Der das Räthsel dir entzieht.
Sieh, es tobt des Kampfs Erinne,
Und der Jüngling zieht den Stahl,
Und er blickt mit trübem Sinne
In die Augen seiner Minne
Und zum heil'gen Sonnenstrahl:
Aber horch! Trompeten schallen,
Und des Krieges Donner hallen,
Und er stürzt sich in die Schlacht.
Mag er siegen, mag er fallen,
Ihn bezwingt die stärk're Macht.
Geist, der durch die Saiten waltet
Und, vom leisesten Entstehn
Schwellend zum Akkord entfaltet,
Uns die tiefste Welt gestaltet,
Geist, wer schuf dein heil'ges Wehn?
Was zum Gott mich oft erhoben,
Oft der Leidenschaften Toben
In der wilden Brust gestillt,
Wär', aus eitlem Hauch gewoben,
Nur des Nichtseyns Dämmerbild?
[187]
Nein, dich hat die ew'ge Liebe
Zu den Sterblichen gesandt,
Daß im rauhen Weltgetriebe
Uns die süße Ahnung bliebe
Von dem schönern Vaterland.
Jeder Ton, der uns durchdrungen,
Ist aus heil'gem Quell entsprungen
Und aus ew'gen Harmonien,
Und erhellt die Dämmerungen,
Die die Heimath uns entziehn.
Harmonie, du Band der Sphären,
Schöpferin des ew'gen Lichts,
Göttin, deren Wink zu ehren,
Tausend Sonnen sich verklären
Aus dem Schooß des dunklen Nichts,
Heilige, die jedem Fehle,
Daß nur Gleiches sich vermähle,
Die geweihte Kette schließt,
Glorie der reinen Seele,
Harmonie sey mir gegrüßt!
Dir gehorcht die schwarze Welle,
Wenn der Sturm die Flügel schwingt,
Dir der Tanz der Wiesenquelle,
Ruh und Kampf und Nacht und Helle
Folgen, wenn dein Scepter winkt.
Wo der Schöpfung Pulse beben,
Darf kein Mißklang sich erheben;
Auf geheimnißvoller Spur
Schmilzt der Kräfte Widerstreben
In den Einklang der Natur.
[188]
Was dem Geiste Kraft gewährte
Und dem Herzen Größe lieh,
Was den Keim des Schönen nährte
Und das Werk des Meisters ehrte,
Wecktest du, o Harmonie!
Freiheit muß auf Scham sich gründen,
Kraft und Milde sich verbinden
Und Genuß durch Müh' erfreun;
Kühnheit soll die That erfinden,
Richterin die Charis seyn.
Hehre, die am Himmelsbogen
Und im Erdenkreise weilt,
Sey der Reizenden gewogen,
Die, von deinem Hauch erzogen,
Geist und Namen mit dir theilt.
Als von dir ihr Auge glühte
Weckte sie des Liedes Blüthe
Und der Worte Kraft in mir,
Und gefiel ich dir, so biete
Ihr allein den Lohn dafür.

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Vermischte Gedichte. Hymnus an die heilige Cäcilia. Hymnus an die heilige Cäcilia. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0519-D