Johannes Kant

Den kategorischen Imperativus fand,
Das weiß ein jedes Kind, Immanuel Kant.
Dem kategorischen Imperativus treu,
Zwang durch ihn wilde Seelen zu frommer Scheu
Lang vor Immanuel Herr Johannes Kant,
Und wenige wissen's, wie die Sache bewandt.
[230]
Derselb' ein Doctor Theologiä war,
In schwarzer Kutte, mit langem Bart und Haar,
So saß er zu Krakau auf dem Lehrersitz,
So ging er einher gegürtet, in Kält' und Hitz',
Ein rein Gemüt, ein immer gleicher Sinn,
Dem Unrecht dulden, nicht thun, stets däuchte Gewinn.
Im grauen Alter zog ein Sehnen den Kant
Gen Schlesien, in sein altes Vaterland.
Er schloß die Bücher in'n Schrein, bestellt' sein Haus,
Den Seckel nahm er, und zog in die Fern' hinaus.
Gemächlich ritt in der schweren, schwarzen Tracht
Der Doctor durch der polnischen Wälder Nacht,
Doch in der Seele, da wohnt ihm lichter Schein,
Die goldnen Sprüche zogen aus und ein,
In's Herz schoß Stralen ihm das göttliche Wort,
Voll innern Sonnenlichtes, so ritt er fort.
Auch merkt er nicht, wie das Thier in finstrer Schlucht
Den Weg durch Abenddunkel und Dickicht sucht,
Er hört nicht vor und hinter sich Tritt und Trott,
Er ist noch immer allein mit seinem Gott.
Da wimmelt's plötzlich um ihn zu Roß, zu Fuß,
Da flucht in's Ohr ihm der Wegelagerer Gruß;
Es stürmen auf den heiligen Mann sie ein,
Es blinken Messer und Schwert im Mondenschein.
Er weiß nicht wie ihm geschieht, er steigt vom Roß,
Und eh' sie's fodern, theilt er sein Gut dem Troß;
Den vollen Reisebeutel streckt er dar,
Darin bei'm Groschen manch blanker Thaler war,
Vom Halse löst er ab die güldne Kett',
Er reißt die schmucken Borten vom Barett;
Den Ring vom Finger und aus der Tasche zieht
Das Meßbuch er mit Silberbeschläg und Niet;
Daß sie das Pferd abführen mit Sattel und Zaum,
Der arm' erschrockne Mann, er sieht es kaum;
Erst wie er alles Schmuckes und Gutes bar,
Da flehet er um sein Leben zu der Schar.
Der bärtige Hauptmann faßt ihn an der Brust,
Und schüttelt sie mit derber Räuberlust.
»Gabst du auch Alles?« brüllt's um ihn und murrt,
[231]
»Trägst nichts versteckt im Stiefel oder Gurt?«
Die Todesangst schwört aus dem Doctor: »Nein!«
Und aber »Nein!« Es zittert ihm Fleisch und Bein.
Da stoßen sie fort ihn in den schwarzen Wald;
Er eilt, als wär' er zu Roß noch, ohne Halt;
Doch fährt die Hand im Gehen ihm wie im Traum
Hinab an der langen Kutte vorderm Saum,
Mit Angst fühlt sie herum an allem Wulst,
Und endlich findet sie da die rechte Schwulst,
Wo eingenäht, geborgen und unentdeckt
Der güldene Sparpfennig sich versteckt.
Nun will dem Mann es werden recht sanft und leicht,
Mit all dem Gold er die Heimat wohl erreicht,
Er mag mit Gottes Hülfe vom Schrecken ruhn,
Mit Freunden und Vettern sich recht gütlich thun.
Da stand er plötzlich still, denn in ihm rief
Mit lauter Stimme der heilige Imperativ:
»Leug nicht! leug nicht! du hast gelogen, Kant!«
Das einzige Wort ihm auf der Seele brannt',
Vergessen war der Heimat fröhliche Lust,
Er war allein der Lüge sich bewußt.
Und schneller, als ihn getrieben der Freiheit Glück,
Trieb ihn der Sünde Pein nun zurück, zurück.
Schon winkt von Ferne der unglücksel'ge Platz,
Die Räuber theilen dort noch immer den Schatz,
Am Mondlicht prüfen sie sich das Allerlei,
Die Pferde weiden zwischen den Büschen frei.
Und wie sie lagern im Gras und tauschen, tritt
In ihre Mitte der Kant mit hastigem Schritt.
Er stellt demütig sich vor die Räuber hin,
Er sprach: »O wisset, daß ich ein Lügner bin!
Doch log der Schrecken aus mir, darum verzeiht!«
Mit diesen Worten riß er den Saum vom Kleid,
In hohler Hand heut er ein Häuflein Gold,
Darüber des Mondscheins blinkende Welle rollt;
Weil keiner zugreift, bittet er ganz beschämt:
»Das hab' ich böslich vor euch verläugnet, nehmt!«
Den Räubern aber wird's wunderlich im Kopf,
Sie möchten lachen und spotten ob dem Tropf;
[232]
Und ihre Lippe findet doch keinen Laut,
Und ihr vertrocknetes, starres Auge thaut.
Und in dem bleiernen Schlummer, den er schlief,
Regt sich in ihnen plötzlich der Imp'rativ,
Der wunderbare, das heil'ge Gebot: »Du sollt –
Du sollt nicht stehlen!« und vor der Hand voll Gold
Aufspringen sie, dann werfen sich All' auf's Knie,
Ein tiefes Schweigen waltet; denn Gott ist hie.
Jetzt aber regt sich emsig die ganze Schar:
Der reicht den Beutel und der die Kette dar,
Ein dritter bringt das Pferd gesattelt, gerüst't,
Das Meßbuch reicht der Hauptmann – er hat's geküßt,
Dann helfen sie ihm zu Roß mit willigem Dienst,
Nichts bleibt zurück vom neuen Räubergewinnst;
Ja, mußte Herr Kant nur sein auf seiner Hut,
Daß sie ihm nicht auch schenkten gestohlen Gut.
Er scheidet, er theilt den Segen aus vom Pferd,
Wünscht ihnen gründliche Reu', die sie bekehrt.
Nur dacht' er traurig, als um die Eck' er bog:
»Ihr armen Schelmen, ihr stehlet – und ich log!«
Doch als er kam zum finstern Walde hinaus,
Da war verschwunden der Sünde ganzer Graus,
Da stand der Morgenhimmel in roter Glut,
Da ward dem frommen Wandrer froh zu Mut.
»Dein Wille gescheh' im Himmel und auf der Erd'!«
So betet der Kant, und giebt die Sporen dem Pferd.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 2. Geschichtliche und halbgeschichtliche Sagen. Johannes Kant. Johannes Kant. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0831-0