3.

Auf den Wassern Babylons
Hört man keine Ruder schlagen;
Auch das Roß des Göttersohns
Wiehert nicht am schnellen Wagen.
Ach, vom Thron ist er gestiegen,
An der Wand lehnt Schwert und Speer,
Auf dem Lager muß er liegen,
Sterbend grüßt der Held sein Heer.
Nur ein Königsgrabmal schwimmt
Vor dem Auge, das schon dunkelt.
Von der Fieberstirne nimmt
Er das Band, das glühend funkelt;
[214]
Daß er's ohne Freundestücke
Lassen darf auf Freundeshaupt,
Dafür danket er dem Glücke,
Das dem Traum sein Gift geraubt.
»Tretet um mich alle her,
Waffenbrüder, näher, näher!
Komm auch du, gedankenschwer,
Ahnungsvoller, ernster Seher!
Nimm die Binde, hilf enthüllen,
Was die Nacht als Rätsel sprach,
Hilf den Götterschluß erfüllen,
Der mir schon das Auge brach!
Welche Stirne soll dieß Band,
Seher! von den vielen schmücken?
Wer statt meiner abgesandt
Soll den Erdenkreis beglücken?
Sprich den würdigsten der Namen,
Daß die Völker sich erfreun!
Kannst du nur den bösen Samen,
Nicht die Saat des Glückes streun?
Doch sie blühet schon, die Saat!
O der herrlichen Enthüllung!
Alexanders Glück, es naht
Mit der reichlichsten Erfüllung!
Seh' ich lichte Königskronen
Rings auf allen Häuptern nicht?
Flammet nicht von zehen Thronen
Meines Ruhmes Stralenlicht?
Welch ein friedlich Diadem
Schmückt die Stirn dir, leichter Schwimmer,
Sendet mild und angenehm
Jungen Städten seinen Schimmer.
Aber du dort, kühner Retter,
Trägst es unter Blut und Schweiß,
Und von stetem Kriegeswetter
Dampfet dir die Stirne heiß!
[215]
Jener leichter, dieser schwer,
Tragt es, wie's der Gott geschlungen!
Mich drückt keine Krone mehr,
Mich führt Lethe's Flut, entschwungen
Ueber jene schwarzen Wellen,
An dem Königsgrab vorbei,
Daß ich auf den sel'gen, hellen
Inseln frei mit Freien sei!«
Und der Tod wischt aus dem Blick
Thronen ihm und Königsbinden.
Kann dem Traume das Geschick
Seine volle Lösung finden?
Nein! es hebt der alte Seher
Das verwais'te Diadem,
Traurig ruft der Zukunft Späher:
»Hier! dem Würdigsten! doch wem?«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 2. Geschichtliche und halbgeschichtliche Sagen. Das Diadem. 3. [Auf den Wassern Babylons]. 3. [Auf den Wassern Babylons]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0835-8