[338] Des Feindes Tod

Wo vom Berg die Felsen rollen,
Wo kein Wasser friedlich fließt,
Nur im Sturze sich ergießt,
Wo die langen Donner grollen;
Dort in Rhätiens finstern Gründen,
Wo sich die Natur bekriegt,
Wald und Sturm im Kampfe liegt,
Kann der Mensch nicht Ruhe finden.
Feindschaft zeugt in seiner Seele
Dort der Elemente Streit,
Und die Fürsten sind entzweit
Um den Sitz in Hain und Höhle.
Seine finstern Thäler neidet
Rudpert drum dem Adalbert;
Jeder greifet nach dem Schwert,
Ob sie schon der Waldstrom scheidet.
An der überspritzten Klippe
Kämpfen sie im Wasserschaum,
Kämpfen, wo für zween ist Raum
Auf der wald'gen Felsenrippe.
Dann im Anger und im Thale
Jeder mit ergrimmtem Troß,
Jeder auf dem wild'sten Roß;
Lang erhitzt sich Stahl am Stahle.
Beider Mut ist stets der gleiche,
Beider Sehne gleich gestählt,
Beide gleicher Haß beseelt,
Keiner weicht dem letzten Streiche.
Bis die Herrscherin der Gegend
In den Streit sich mischt, Natur,
Irre macht der Rosse Spur,
Felsen in die Wege legend.
Rudpert schwanket auf dem Pferde,
Und es bäumet sich das Thier,
Und mit zornigem Gewieh'r
Schleudert es den Herrn zur Erde.
Und man hört die Wasser toben,
[339]
Weil es stille ward vom Kampf,
Nur im grauen Nebeldampf
Kämpft der Wind im Walde droben.
Auf des Feindes Angesichte
Kehrt mit Frieden ein der Tod,
Wischet ab des Zornes Rot,
Ueberzieht's mit blassem Lichte.
Und es nahet sich der Leiche
Abgestiegen von dem Pferd
Auch der Kämpfer Adalbert,
Schaut in's Antlitz ihm, in's bleiche.
Lauter bei des Grabes Stille
Schlägt lebend'ges Menschenherz,
Groll und Zorn flieht niederwärts,
Und die Brust bewegt der Wille.
Jetzt erbarmt ihn erst der Schöne,
Die das Schicksal für ihn schlug,
O wie holde Züge trug
Dieser Jüngling, wert der Thräne!
Und er hat den Feind umfangen,
Wie den Bruder seiner Wahl: –
Da zuerst durchs wilde Thal
Ist des Friedens Geist gegangen.
Und die Sonne dringet nieder
Durch der Nebel alte Nacht,
Daß der grünen Wildniß Pracht,
Fels und Strom, von Licht glänzt wieder.
Wie den Sieger, auf der Bahre,
Führet den gefallnen Feind
Adalbert durchs Thal und weint,
Als um eines Freundes Jahre.
In die eigne Gruft gebettet
Legt er ihn nach Kampf und Not;
Lieb' und Freundschaft aus dem Tod
Hat er endlich sich gerettet.
Sei Natur im Kampf geschieden,
Krieg der blinden Kräfte Ruhm:
Als sein heilig Eigentum
Pflege doch der Mensch den Frieden!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 5. Sagen vom Bodensee und der Schweiz. Des Feindes Tod. Des Feindes Tod. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0874-9