Der Vogt von Hornberg

In drei Romanzen.

1.

In jener Zeiten Schwere,
Wo Luthers fromme Lehre
Die uns zu Gottes Ehre
Der theure Brenz gebracht,
Noch hülflos in der Wiege
Bedrängt vom schweren Kriege,
Geängstet ward vom Siege
Der span'schen Heeresmacht:
Da hat es sich begeben,
Daß noch ein rechtes Leben,
Ein mutiges Bestreben
Im Dörflein Gutach war.
Dort lehrte noch zur Stunde
Mit seinem freien Munde,
Aus seines Herzens Grunde,
Ein Pfarrer fromm und klar.
[263]
So stand er ohne Sorgen,
An einem Sonntagsmorgen
Im Kanzelstuhl geborgen,
Um den die Menge wogt:
Da kommt mit raschen Schritten
In andrer Hörer Mitten
Durch's Kirchenthor geschritten
Des Hornbergs neuer Vogt.
»'S ist keiner von den Bösen!
Jedoch den Text ihm lesen,
Mag doch nicht übel wesen!«
Der Pfarrer bei sich spricht:
Er fordert die verdammten,
Unglaubigen Beamten,
Die all' der Höll' entstammten,
Vor Gottes Strafgericht.
Als er der langen Predigt
Mit Poltern sich entledigt,
Für Schweiß und Müh' entschädigt,
Steigt er vergnügt herab;
Ihm naht der Vogt mit Nicken,
Mit Gruß und Händedrücken:
»Laßt euch zu Mittag blicken,
Ehrwürd'ger, schlagt's nicht ab!«
Was ist's? er muß wohl kommen!
Er saß und aß beklommen,
Doch als er eingenommen
Den guten Neckarwein,
Und ihn der Vogt von Herzen
Ergötzt mit ehrbar'n Scherzen,
Wollt' ihn schon reun und schmerzen
Das übermäß'ge Schrei'n.
Behaglich war es Beiden;
Da sprach der Vogt bei'm Scheiden
Zuletzt: »Herr! könnt Ihr's meiden,
So predigt nicht so streng!
[264]
Das Schimpfen und das Schelten,
Glaubt mir, es frommet selten,
Und wem es just soll gelten,
Dem macht's um's Herz nicht eng.«
Das zieht dem guten Alten
Die Stirn' auf's neu' in Falten;
Er spricht halb ungehalten,
Halb aber noch im Scherz:
»Ihr werdet mich nicht fragen,
Doch wenn Ihr's könnt ertragen,
Was hier die Leute sagen,
So leg' ich's Euch an's Herz:
Er fischet nicht im Trüben,
Mag Trunk und Spiel nicht üben,
Treibt kein verbotnes Lieben,
Fürwahr, Er ist kein Vogt!
O, laßt die Leute schmähen,
Sie werden's nicht verstehen: –
Ihr scheut das Kirchengehen!
Fürwahr, Ihr seid ein Vogt!«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 3. Vermischte schwäbische Sagen. Der Vogt von Hornberg. 1. [In jener Zeiten Schwere]. 1. [In jener Zeiten Schwere]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-08A8-8