[180] Die Gottesbraut

Aus des Klosters Hallen
Schallt der Jungfrau'n Sang,
Die zur Kirche wallen
Bei der Glocken Klang;
Alle Gott geweiht,
Haben sie der Zeit
Abgesagt und ihrer Wonne,
Kehren sich zur ew'gen Sonne.
Was an ihnen blühet,
Blüht zu seinem Ruhm,
Was in ihnen glühet,
Ist sein Heiligtum.
Ihrer Jugend Stern
Leuchtet vor dem Herrn,
Was ein Weib auf Erden schmücket,
Opfern sie, der Welt entrücket.
Hoher Stirne Bogen,
Langes goldnes Haar,
Jungen Busens Wogen
Bringen sie ihm dar;
Farb'ger Wangen Blut,
Roter Lippen Glut,
Was da freut und treibt das Leben,
Haben sie ihm hingegeben.
Doch, die Jüngste schauet
Dort am letzten Platz,
Die erst heut vertrauet
Ihm den reichen Schatz!
Welcher Brauen Kranz!
Welcher Augen Glanz!
Welchen Stral von Sehnsuchtsblicken
Sieht man sie gen Himmel schicken!
Rosse hört man scharren
Vor dem Klosterthor,
Einen Jüngling harren
Siehet man davor:
[181]
Sein entzündet Hirn
Färbet Aug' und Stirn
Mit der ird'schen Flamme Gluten
Die aus dunkler Tiefe fluten.
An des Thores Gitter
Frägt die Schaffnerin:
Was begehrt der Ritter
Im empörten Sinn? –
»Aus dem schwarzen Haus
Sendet sie heraus!
Drinnen glühn zwei Sonnenaugen,
Die für eure Nacht nicht taugen!«
Seine Waffen tönen
Durch der Hallen Gang,
Daß man's höret dröhnen
Zu der Jungfrau'n Sang.
Alle beten laut,
Doch die fromme Braut,
Wie sie hört die frechen Worte,
Wandelt schweigend durch die Pforte.
In der stillen Zelle
Durch das Fensterlein,
Nach des Himmels Helle,
Nach der Sonne Schein
Kehrt sie noch einmal
Ihrer Augen Stral,
Löset mit dem Stahl sich leise
Dann der Augen goldne Kreise.
Schließt die Perlen beide
Von erloschnem Schein,
Blutiges Geschmeide,
In die Kapsel ein,
Zieht den Schleier vor,
Wanket an das Thor:
»Was du willt, sei dir beschieden,
Laß des Himmels Braut in Frieden!«
[182]
Zitternd langt der Ritter
Nach der weißen Hand
Durch das strenge Gitter,
Als die Frau verschwand.
Keinen Händedruck?
Doch er hält den Schmuck!
Unterpfand der süßen Triebe!
Erstes Zeichen ihrer Liebe!
»Aus der dunkeln Hülle,«
Wonneglühnd er spricht,
»Komm in deiner Fülle,
Kleinod, an das Licht!
Wirst ein Wiederschein
Ihrer Augen sein!« –
Und er sieht die matten Sonnen,
Und das Blut ist ihm geronnen. –
Als er auf den Pfühlen
Aus des Wahnsinns Nacht,
Wieder war im kühlen
Morgenhauch erwacht,
Ward in Reu' und Schmerz
Ihm ein andres Herz,
Und das Licht, das sie verloren,
Ihm im dunkeln Geist geboren.
Und im Flehen trat er
Vor den Herrn des Lichts,
Einen Stral erbat er
Seines Angesichts;
Denn es wandelt blind
Gottes frömmstes Kind!
Daß der Sünder sei errettet,
Hat sie sich in Nacht gebettet!
Aus des Klosters Hallen
Schallt der Jungfrau'n Sang,
Die zur Kirche wallen
Bei der Glocken Klang.
[183]
Eine steht verhüllt;
Aber dankerfüllt
Werfen sich beim Liederschalle
Um sie her die Schwestern alle.
Hinter ihrem Schleier
Glänzt's wie Sternenlicht,
Das schon frei und freier
Durch die Wolken bricht;
Wie ein Wunder lauscht's,
In dem Schleier rauscht's;
Endlich sinkt vom Haupt er nieder,
Und die Kirche stralet wieder.
Denn es steht die Reine
Wunderbar erhellt,
Wie im Sonnenscheine
Einer andern Welt;
Und ein Augenpaar
Groß und fromm und klar
Sendet seiner Sterne Flammen
Zu dem Gott, von dem sie stammen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 1. Freie Sagen. Die Gottesbraut. Die Gottesbraut. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-08B0-3