[193] Einsame Wandlung

Bin ich denn todt, daß unbegrüßt die Horen
Im Tanz vor mir vorüber glühn?
Daß ohne Balsam mir die Blumen blühn,
Als wäre Flur und Lenz verloren?
Hat die Natur, die mich geboren,
Die unerschöpfliche Vergeuderinn,
Mir keine Freude zugeschworen?
Fährt mir allein in Gottes Opferhaine,
Wenn feyernd ihm die Schöpfung singt,
Daß lauter Jubel durch die Felsen dringt,
Kein Feuerstrahl durch die Gebeine?
Hier sitz' ich auf dem grauen Steine,
Um den sich rund der Gegend Zauber schlingt,
Und, spottet meiner nicht, und weine.
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Wie ein Verdammter vor der Rosenthüre
Der Seligkeiten Edens steht,
Und schauernd links in seine Wüste geht,
Als ob der Cherub ihn berühre;
So hör' ich durch gebrochne Schwüre,
Wenn warm umher des Lebens Odem weht,
Daß nichts vom Leben mir gebühre.
Ist auf des Weltmeers hochgethürmten Wogen,
Als schwindelnd mich ihr schwarzer Flug
Im Ungewitter auf und nieder schlug,
Mein kleines Glück davon geflogen?
Hat mich der Krieg, der mich erzogen,
Als er das Land umher zu Grabe trug,
Um meine Menschlichkeit betrogen?
Ich steh allein, wie gänzlich losgeschlagen
Von allem was den Menschen hält,
Und in mir liegt die Trümmer meiner Welt,
Die Nacht von den geschiednen Tagen.
Wer wagt es Werde Licht! zu sagen,
Wenn alles tief und immer tiefer fällt,
Und mich zu mir zurück zu tragen?
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Man schwor mir Freundschaft und man schwor mir Liebe;
Und ich, ein Zögling der Natur,
Hing fest mit Zutraun an dem schönen Schwur,
Als ob ihn Gott mit Feuer schriebe.
Ha, wer mir jetzt den Tand vertriebe!
Die ganze schöne Gleißnerey war nur
Wie Regenwasser in dem Siebe.
Ich schlürfte tief, wie seinen Sorgenbrecher
Ein Sohn Lyäens, meinen Trank,
Bis mir der Nektar von der Lippe sank,
Und Schierling war im goldnen Becher.
Da blickte starr der blinde Zecher,
Und für die Täuschung zahle meinen Dank
Der weggeschlagnen Hoffnung Rächer.
Nun lauscht schon längst, als Brut der Menschenkunde,
Wenn mich ein helles Maygesicht
Zum Proselyten seines Glaubens spricht,
Der Argwohn in dem Hintergrunde,
Und stürzt in einer Giftsekunde,
Wenn plötzlich er sich in die Seele flicht,
Das Werk von mancher guten Stunde.
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Mit Golde kauft man immer feile Seelen;
Das Herz nur ist dem Herzen Lohn:
Der wahre Werth spricht allem Schimmer Hohn,
Und läßt sich nie nach Tafeln zählen.
Mir mögen Rock und Mantel fehlen,
Noch bin ich reich; allein ein Bettler schon,
Will man mir mein Gefühl bestehlen.
Ach gäbt ihr mir nur meinen Glauben wieder
Den schöne Häucheley mir nahm,
Die im Gewand der Wahrheit zu mir kam!
Ihr sangt mir nur Sirenenlieder:
Gebt mir mein Herz für meine Brüder,
Gebt mir Vertraun, entreißt mich meinem Gram
Durch Zuversicht an Menschen wieder!
Die Welt um mich trägt meines Schicksals Farben,
Die ihr mit euern Künsten schuft:
Mit jedem Fußtritt find' ich eine Gruft,
Wo ehmahls Menschenfreuden starben,
Wo Narren Segen sich erwarben,
Um an der Bosheit angesteckten Luft
Dann arm und hoffnungslos zu darben.
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Hängt noch der Fluch am menschlichen Geschlechte,
Den zürnend einst der Dämon rief?
Gräbt ihn die Macht der Leidenschaft noch tief
In Könige und Ruderknechte?
Daß eines Thoren fromme Rechte,
Der die Besinnung gläubig fest verschlief,
Mir einen Trank aus Lethe brächte!
Was soll der Wunsch? Ein Wunsch ist schon für Thoren;
Und für die Weiber Elegie:
Ich lege trotzig mich ans Joch und zieh,
Bis Hirn und Herz hat ausgegohren.
Vielleicht wird noch die Zeit geboren,
Wo ich mit Ruh in eine Klause flieh,
Und sag' ich habe nichts verloren.

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TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Einsame Wandlung. Einsame Wandlung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A41-D