[131] Guter Rath

Du willst es; gut, so sollst du meine Lehren
Zur Abfahrt auf die Reise hören.
Du gehst jetzt in die große Welt,
Und gleich zu gelten, Lieber, fehlt dir Geld:
Denn Geld nur gilt, wie schon die Sprache lehrt,
Und Gold allein gibt stracks dem Manne Werth.
Und diesen Mangel auszufüllen,
Mußt du nach manches Thoren Grillen
Die Fahne deines Lebens drehn,
Um durch die Klippen glücklich hin zu gehn.
Fürs erste suche zu studieren,
Mit welcher Art von Menschenthieren
Das Schicksal dich zusammen schlägt;
Auf welchem Puncte du sie kannst berühren,
Und was ihr Geist für Farbe trägt.
Verläugne dich; laß nie den Menschen blicken
Denn Menschheit ist nun vor der Hand
Fast überall noch konterband,
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Und ihr Phantom wird oft nur ausgespannt,
Den Sinn der Blöden zu berücken.
Schnell lerne dich mit Anstand bücken,
Und in der Mode welschem Ton,
Der frevelnden Vernunft zum Hohn,
Nonsensikalisch Formeln auszuflicken.
Leg' auf das warme Menschenherz,
Damit in kindischen Gefühlen
Die Knabenadern dir nicht Streiche spielen,
Ein dreyfach dickes kaltes Erz.
Laß die Moral den Schulmonarchen,
Und suche bald im ersten hohen Rausch
Mit überlegtem klugen Tausch
Der Schule Dünste wegzuschnarchen.
Schließ dich an reiche goldne Narren
Mit wohlbedachter Narrheit an;
Sonst kannst du auf Fortunens Bahn
Umsonst Olympiaden karren.
Erfrech dich nie Vernunft zu haben,
Die deinem Gönner widerspricht,
Und schlüg' er wie die Fibelknaben
Dem Menschensinn ins Angesicht.
Wag nie, die alte Nebeldecke
Der bunten und der schwarzen Röcke,
Aus welcher Bann und lange Flüche rauchen,
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Mit Phöbus Lichtstrahl anzuhauchen.
Sprich keck; nur wage keine Kasten
Mit deiner Kühnheit anzutasten.
Red' in der Selbstsucht hohem Grimme,
So oft man dein Verdienst verkennt,
Von deinem Werth mit Stentors Eisenstimme,
Bis dich auch die Belohnungsliste nennt.
Sey groß bey Kleinen, und bey Großen klein;
Im Tadel beißendklug, im Lobe fein;
Doch sage stets mit Peter Squenz,
Vortrefflich! zu der Excellenz.
Bey allen Abderitenstreichen halte
Den kleinsten Muskel in der Falte:
Versuch' es nie, dem Laster nachzuspüren,
Und Tugend zu analysiren.
Ergreif die Laune, die den Mann besitzt,
Mit Kunst, so lange sie dir nützt.
Laß nie das Ehrgefühl dich drücken,
Das manchem, wenn er weiter zielt,
So oft noch Schülerstreiche spielt,
Vor Dunsen und vor Schurken dich zu bücken.
Sey Kuppler; noch in jedem Lande
Erwirbt man klug sich Ruhm durch Schande:
Sey blind mit Fleiß und dumm aus List,
Bis du auf deinem Boden bist.
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Hilf Schwärmern fluchen, Schuldnern speculieren;
Hilf Süßlern winseln, Weibern radotieren;
Und fasse weislich die Gelegenheit,
So oft sie dir die Lockenstirne beut.
Lies Horoskopen in des Weibes Miene,
Und sprich den jungen Faun zum Amorine.
Sey Frömmler und sey Freygeist nach dem Ton,
Jetzt der Vernunft, dem Glauben jetzt zum Hohn.
Ersinne dir die lieblichste Karesse
Für jeder Dame Lieblingshund,
Und lauf galant die Füße wund,
Und nimm am Ende die Mätresse.
Sey Proteus, wechsle die Gestalten;
Und laß dich unter keiner halten,
Bis du dich ins Gewicht gebracht;
Das dann in der Geschäfte Schale
Mit Einem Mahle
Für dich auch eine Schnellung macht.
Dann kannst du mit Behaglichkeit
Die gute liebe Lebenszeit
Nach deiner eignen Laune lungern:
Wo nicht, so lerne nur getrost
Philosophie mit magrer Kost,
Und dann und wann recht tapfer hungern.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Guter Rath. Guter Rath. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A91-A