[174] Ein Lied im gewöhnlichen Ton

Varuim et mutabile semper –


Ich sahe sie, wo Zollikofer dachte,
Und leise zog mein Herz ihr zu;
Doch wars, als ob in dem Verlust der Ruh
Mir neu gehaucht die Schöpfung schöner lachte.
Sie sprach zu mir, da floß von ihren Lippen
Der Seele süße Harmonie;
So lieblich tönt, so magisch fließet sie
Geweihten nicht herab von Aganippen.
Ich stand verstummt; nur jede Saite bebte,
Wenn sie die Harmonieen sprach,
Mit Einklang in des Wesens Tiefe nach,
Daß ich durch sie ein neues Leben lebte.
[175]
Mein Auge hing mit Angst an ihrer Miene;
Der Blick nur sprach, die Zunge schwieg,
Bis kühn empor die stolze Hoffnung stieg,
Daß ich vielleicht des Himmels Glück verdiene.
Das Siegel brach; nun war mein Herz ihr offen;
Mit schöner hoher Schwärmerey
Gestand sie bald, daß sie gewonnen sey;
Befahl mir selbst, das Herrlichste zu hoffen.
Gerührt sank ich mit Dank zu ihren Füßen:
Gerührt zog sie mich auf zu sich,
Und taumelnd warf ich wonnetrunken mich
Ihr um den Hals, und schwor mit Flammenküssen.
Als wollte sie den ganzen Himmel leeren,
Als wollte sie, so hielt sie mich,
Den Trunknen, fest, hochglühend fest an sich,
Mit einem Kuß die Ewigkeit verzehren.
Sie schwor mir ernst und feyerlich die Treue.
Ich rief voll Angst ihr: Schwöre nicht;
Entsetzlich ists, wenn man die Schwüre bricht!
Entsetzlich, ja; sprach sie, und schwor aufs neue.
[176]
Von lieblichem bethörenden Geschwätze
Troff nun beredt ihr Zaubermund,
Als wäre wie Orion unser Bund,
Und ewig fest, wie Gottes Weltgesetze.
Wie Heiligthum mit Strahlenglanz umflossen,
Sank sie voll Ruh mir in den Arm,
Und sicher ward das Herz am Herzen warm;
Der Tugend nur war dieser Bund geschlossen.
Ich hing entzückt an allen ihren Reitzen,
Als könnt' ich in der Sympathie,
Wenn flüsternd sie sich wiegt' auf meinem Knie,
Das Paradies zurück zur Erde geitzen.
Sie rief mir zu, daß nur durch meine Liebe
In ihrem Leben Leben sey;
Und elend wärs und eine Wüsteney
Wofern mein Herz nicht ihrem Herzen bliebe.
Die hohe Fluth durchbrach mir fast den Busen
Im Ungestüm der Seligkeit
Empfindung ist stets Unaussprechlichkeit;
Sie sagt selbst nie der Liebling aller Musen.
[177]
Ich lebte wie vor Gott ein Auserkohrner
In jenes Lebens Rosenlenz;
Für sie nur fühlt' ich meine Existenz,
Froh, froh wie einst der Schöpfung Erstgeborner.
Gluth war die Schrift, die sie mir täglich schickte,
Und jedes Wort ein Feuerzug
Der doppelt heiß in meine Seele schlug;
Und Himmel war ihr Auge, wenn sie blickte.
Ha, hätt' ich je im Traum nur freveln können,
Da mir bey ihrem hohen Schwur
Ein Wonnestrahl durch alle Sehnen fuhr,
Es werde je die Flamme niederbrennen!
Doch glänzten kaum mir hundert Morgenröthen,
So rief sie mit der Stoa Ruh,
Mit kaltem Ernst, zum Lebewohl mir zu:
Geh' an den Pol zu deinen Samojeten!
Als wäre mir von Gottes Wolkenfunken
Das Mark gedörrt, so stand ich da;
Und als ich sie sich schnell entfernen sah,
Als hätt' ich schon des Todes Kelch getrunken.
[178]
So stand ich da, mit Folter im Gesichte,
Und glühend quoll mir Zorn und Schmerz,
Vom Augenlied herab wie siedend Erz:
Ein Sünder steht einst so am Weltgerichte.
Schon mancher Mond ist nun vorbey geflossen;
Noch glüht mir täglich neu der Schmerz,
Und wühlet tief, tief in das wunde Herz:
Die Rechnung ist nun mit dem Glück geschlossen.
Ich kann, ich will, ich werde nicht vergessen;
Denn mein Gefühl ist Ewigkeit:
Und sollte mir zu meiner Lebenszeit
Der Himmel wie den Patriarchen messen.
Verrätherinn, geh, opfre stolz der Mode,
Und bey dem Opfer spotte mein;
Mein Leben wird, soll deine Strafe seyn:
Das Schicksal straft vielleicht mit meinem Tode.
Wie konnt' ich mich so knabenhaft verlieren?
Ich Thor, ich hatte ja kein Gold.
Mit Seckeln nur kauft man der Liebe Sold:
Und man gewinnt nur sicher durch Summiren.
[179]
Mag mich der Troß der Alltagswelt verkennen;
Für Herz um Herz vermöcht' ich kühn
Am Lebensjoch mit Kraft und Muth zu ziehn!
Der Rest ist kaum mir werth, ihn nur zu nennen.
Mit Wehmuth füllt mich einsam der Gedanke,
Mit Wehmuth die Empfindung mich;
Und dieser Ton, so bebt es innerlich,
Verhallt selbst nicht dort vor der großen Schranke.
Ich darf und will als Mann nicht weibisch klagen:
Geh, Mädchen, du zerstörtest mir
Des Segens viel, und ich verzeihe dir.
Was ich jetzt war, kann einst der Greis nur sagen.

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TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Ein Lied im gewöhnlichen Ton. Ein Lied im gewöhnlichen Ton. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0ACA-A