[227] Eine Ecloga oder Hirten-gesang, von Christo dem Herren im Garten, vnder der persohn des hirten Daphnis, vvelchen der Himmlisch Sternen-Hirt, das ist der Mon, allvveil er seine Sternen hütet, kläglich betravvret. Seind aber Trochaische oder Springverss, so nach jhrem sprung vvollen gelesen sein also: vvie oben

Eingang.

1.
Mon des Himmels treib zur weiden
Deine Schäfflein gülden-gelb/
Auff geründter blawen heiden
Laß die Sternen walten selb/
Ich noch newlich so thät reden/
Da zu nacht ein schwacher hirt/
Aller wegen/ steeg/ vnd pfäden
Sucht ein Schäfflein mit begirdt.
2.
Gleich der Mon jhm ließ gesagen/
Nam ein lind gesti ites rohr:
That es blasend zärtlich nagen/
Spielet seinen Sternen vor.

[228] Der Mon.

Auff jhr Schäfflein/ auff zur Heyden/
Weidet reines himmel-blaw:
Dannenhero wan wir scheyden/
Schwitzt jhr ab den morgen-taw.
3.
Ach! wer aber dort im garten
Ligt mit seinem hirtenstab?
Wer wil seiner dorten warten?
Schawt jhr sternlein/ schawt hinab.
Haltet/ haltet/ ich nit fehle:
Ist der Daphnis wolbekandt:
Eia/ Daphnis/ mir erzehle/
Daphnis/ waß wil dieser standt.
4.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Ich mit jhm noch reden muß.
Weidet/ meine Sternen/ weidet/
Daphnis ligt in harter Buß.
Daphnis/ thu die Lefftzen rühren/
Eia/ nit verbleibe stumm:
Daphnis/ laß dich dannen führen/
Eia nit verbleibe tumm.
5.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Daphnis ligt in ängsten groß:
Daphnis pein/ vnd marter leidet/
[229]
Wölt/ er läg in mutter-schoß!
Er dem felsen ligt in armen/
Ligt auff harten steinen bloß:
Ach wer dorten jhn wil warmen?
Förcht/ er da das haupt zerstoß.
6.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Daphnis spaltet mir das hertz!
Wer mag haben jhn beleidet?
Weinen möchten stein vnd ertz:
Kalte wind halt ein die flügel/
Rühret nicht daß krancke blut:
Meidet jenen berg/ vnd hügel/
Daphnis ligt ohn schuch vnd hut.
7.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Daphnis leidet angst vnd noth:
Daphnis dopple thränen leidet/
Weisse perl/ corallen roth.
Perlen jhm von augen schiessen/
Schiessen hin ins grüne gras:
Von dem leib corallen fliessen
Fliessen in den boden bas.
8.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Niemand hats gezehlet gar/
[230]
Niemand hat es außgekreidet/
Ob auch zahl der tropffen war.
Nur der boden wol genetzet/
Für den weiß- vnd rothen schweiß/
Jhm zu danck heraußer setzet
Rosen roth/ vnd lilgen weiß.
9.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Daphnis voller ängsten ligt:
Ruch/ noch farben vnderscheidet/
Achtet keiner blümlein nicht.
O was marter dir begegnet?
Hör zu schwitzen einmahl auff:
Gnug es einmahl hat geregnet/
Nit in rothem bad ersauff.
10.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Wer doch hat es jhm gethan?
Niemand meine frag bescheidet:
Du mir Daphnis zeig es an.
Daphnis kan für leyd nit sprechen/
Seufftzet manchen seufftzer tieff/
Jhm das hertz wil gar zerbrechen:
Ach daß jemand helffen lieff.
11.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
[231]
Schon ein Englisch Edel-knab
Starck in Lüfft- v Wolckē schneidet/
Eylet hin in vollem trab.
Er jhm singlet süsse Reymen/
Mit gar süssem sti ilein schwanck/
Auch den Kelch nit thut versäumen/
Zeiget einen kräuter-tranck.
12.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Alles/ alles ist vmbsonst:
Er doch allen trost vermeidet/
Achtets wie den blawen dunst.
O du frommer Knab von oben/
Du nur mehrest jhm die pein:
Doch ich deine trew muß loben.
Gott! dirs muß geklaget sein;
13.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
O wie schlecht/ vnd frommer Hirt!
Er den Becher jetzet meidet/
Morgen jhms gerewen wirdt.
Er sich jetzet gar wil freyen/
Weigert was man trincket zu;
Dörfft villeichten morgen schreyen/
Ach wie sehr mich dürstet nu!
14.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
[232]
Daphnis bleibet schmertzenvoll:
Euch befehl ich/ euch entkleidet/
Reisset auß die gülden Woll.
Nur euch kleidet pur in kohlen
Pur in lauter schwartzes wand/
Von der scheitel auff die sohlen
Euch gebühret solcher standt.
15.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Daphnis führet starckes leyd:
Ist vom Vatter hoch veraydet/
Hoch mit wolbedachtem ayd/
Er doch wolte widerbringen/
Ein verlohren Schäfflein sein;
Ach wan solte das mißlingen/
Er ja stürb für lauter pein.
16.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
Daphnis wird verfolget starck:
Böß gesindlein jhn beneydet/
Trachtet jhm nach blut/ vnd marck.
O waß dorten! waß von stangen/
Wehr/ vnd waffen nehm ich war?
O villeicht man jhn kompt fangen!
Warlich/ warlich/ ist gefahr.
17.
Weidet/ meine Schäfflein/ weidet/
[233]
Sprechen wolte bleicher Mon:
Ja nit weidet/ sonder scheidet/
Er da sprach/ vnd wolte gohn.
Scheidet/ scheidet/ meine schaaren/
Kan für leyd nit schawen zu:
Dich nun wolle Gott bewahren/
Daphnis/ wer kan bleiben nu?
18.
Drauff adé der Mon wolt spielen/
Da zersprang das matte rohr:
Augen tropffen jhm entfielen/
Wurde wie der schwartze Mohr.
Vnd weil eben dazumahlen
Er tratt an in vollen schein/
Gleich vertauschet er die stralen/
Vollen schein gen volle pein.
19.
Auch die sternen weinen kamen/
Flötzten ab all jhren schein/
Schein/ vnd thränen flossen samen/
Recht zum blawen feld hinein;
Machten eine weisse gassen/
So noch heut man spüren mag:
Dan der milch-weg hinderlassen/
Ist wol halb von solcher bach.

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TextGrid Repository (2012). Spee, Friedrich. Gedichte. Trutznachtigall. Eine Ecloga oder Hirten-gesang, von Christo. Eine Ecloga oder Hirten-gesang, von Christo. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-12D1-4