Der Euangelisch gute hirt sucht das verlohren Schäfflein

1.
O Schäfflein vnbeschoren/
Du zartes wüllen Kind:
Ach wo dan gehst verlohren/
Daß dich so gar nit find?
In holen Felß- vnd Klufften/
Feld/ Wiesen/ Berg/ vnd Thal/
Auff müden bein- vnd hufften
Dich such ich vberall.
2.
Mit seufftzen vngezehlet
Ich Lufft/ vnd Wolcken spalt/
Daß Leyd/ mit leyd vermählet
Sich mehret hundertfalt:
[221]
Die zähr mir han zerschlissen
Wol halbe wangen beyd/
Weil nie von dir mag wissen;
Wer jrr-weg dich verleyt.
3.
Vnd ach! was auch muß dencken
Der fromme Vatter mein/
Sich weil so späth last fencken
Das wüllen Wiltprat sein?
Daß Thierlein er/ das eintzig
Kurtzumb wil wider han/
Ob wol noch neun vnd neuntzig
Auff grünem wasen gahn.
4.
Wolan/ wolan/ dort eben
In jenem Bircken-waldt/
Mich dünckt sichs thut erheben/
Ey da/ da lieber halt.
Halt/ halt/ ichs muß ertappen/
Wil sehn mirs nit entspring:
Nun soll mirs nicht entschappen/
Wil wetten mirs geling.
5.
O wee doch meiner lenden!
O wee/ werd schwach/ vnd kranck!
Mich streiffen aller enden
Die Bircken-gerten schwanck:
[222]
Vnd ach der pein/ vnd qualen!
Daß Thierlein ist entwischt;
Mir bleiben allemahlen
Das glück/ vnd spiel vermischt.
6.
Doch dort in jener hecken/
Da dannoch düncket mich/
Da bleibets gar bestecken;
Dort hör ichs regen sich.
Ja wärlich da/ da drinnen
Da möchts in warheit sein:
Wils greiffen da mit sinnen/
Wil schleichen sanfft hinein.
7.
Ach aber/ ach mit nichten/
Ach aber nein/ ach nein/
Als vil ichs kan entrichten/
Ist nit nochs Thierlein mein.
Vergebens nur verletzet
Mich hab in dörnen spitz/
Das haupt mir gar zerfetzet
Ist voller fewr/ vnd hitz.
8.
Ey dorten doch/ dort oben
Auff jener schedel-statt/
[223]
Ein Creutz-baum frisch erhoben
Die näst ersträcket hat.
Da düncket mich gar eben
Dörffts haben seinen gang/
Jhm da denck nach zu streben/
Hoff dort ichs endlich fang.
9.
Doch müd mich auff den beinen
Ich mehr mag halten kaum:
An dich dan muß ich leinen/
O starcker Eichen-baum.
Ach Schäfflein außerkohren/
Ach kämest/ kämest noch!
Mit mir dochs ist verlohren/
Muß ich wol sterben doch.
10.
Mit armen außgestrecket/
Wil deiner warten hie;
Mirs leben mehr nit schmecket/
Alweil noch seumest je.
O Vatter dir zun händen
Mein Seel von hinnen reist;
Zu dir wol muß ich senden/
Schaw da dan/ meinen Geist.

Vorgehende Ode findet der Leser im Psälterlein PP. Societ. Jesu schier auff selbigen sinn, aber mit anderen vvorten gestellt, pag. 246. Cöllnische


[224]

Trucks, mit dem Titel: Christus sucht das verlohrne Schäfflein: Ein Schäfflein usw.

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TextGrid Repository (2012). Spee, Friedrich. Gedichte. Trutznachtigall. Der Euangelisch gute hirt. Der Euangelisch gute hirt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1331-6