[190] Das Abenteuer

Dort glimmt das Licht. Dies ist der Ort. Den Kahn
Knüpf ich im Dunkel an die schwarzen Bohlen.
Und hier ist Land. Wie unter mir der Grund
Aufknirscht, weht übers Wasser her noch kaum
Fernab der Klang von Stimmen, körperlos
In tiefe Luft gelöst. Die Stille drückt
Die Wangen fiebernd gegen mich. So sei's
Gewagt. Nur wenig Schritte: Mich umfängt
Die Schwelle. Türen tun sich auf. Mich faßt
Durchs Dunkel eine Hand, weicher als Glanz
Des weißen Flaums vom Fittich junger Vögel.
Und dann ist Dämmerung des blauen Zimmers,
Und Arme sind und Glieder ausgespannt,
Mich zu umschließen, mich zu decken
Und einzufangen wie in einem Netz
Gestickt aus Traum und Wunder dieser Nacht,
Und duftend Haar ist über mich gestreut
Wie aufgelöste Bündel wilder Blumen.
Was zaudr' ich noch? Die öde Frühe lehnt
Noch blutlos hinterm hohen Tor der Sterne,
Und mein ist diese Nacht – Ihr tiefstes Glück
Zieh ich wie einen Mantel um mich her.
Was zaudr' ich noch? Die kleine Lampe schwingt
Betörend ihre Strahlen durch das Finster
Und reißt auf hellen Leitern mich empor.
[191]
Was rührt mich plötzlich an? Ist das mein Blut,
Das hier so pocht? Wer naht? Vom schwarzen Wasser
Hebt sich ein Wind. Die Stufen schauern Kühle.
Ganz fern schwebt jetzt das Licht, in solcher Ferne
Wie eine hochgehobne Opferschale,
Die schwankend meines Schicksals Flamme trägt.
Was schaudert mir? Ein Fremdes faßt mich an.
Ich spüre eisig über meinem Haupt
Vergangenes und Ungeborenes
Mit großem Flügelschlag hinrauschen und
In einem dunkeln Sturz von fremder Flut
Ins Uferlose jäh mich fortgerissen.

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TextGrid Repository (2012). Stadler, Ernst. Gedichte. Verstreute Gedichte aus den Jahren 1910 bis 1914. Das Abenteuer. Das Abenteuer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-14B7-1