[220] Freundinnen. Ein Spiel

(1903)


Für Hugo von Hofmannsthal


Toutes deux regardaient s'enfuir les hirondelles:
L'une pâle aux cheveux de jais, et l'autre blonde
Et rose, et leur peignoirs légers de vieille blonde
Vaguement serpentaient, nuages, autour d'elles.
Et toutes deux, avec des langueurs d'asphodèles,
Tandis qu'au ciel montait la lune molle et ronde
Savouraient à longs traits l'émotion profonde
Du soir et le bonheur triste des cœurs fidèles.
Telles, leur bras pressant, moites, leurs tailles souples
Couple étrange qui prend pitié des autres couples,
Telles, sur le balcon, rêvaient les jeunes femmes.
Derrière elles, au fond du retrait riche et sombre,
Emphatique comme un trône de mélodrame
Et plein d'odeurs, le Lit, défait, s'ouvrait dans l'ombre.

Paul Verlaine


[221] (Ein großes Zimmer reich ausgestattet. Von den Wänden sehen alte dunkle Gemälde von Männern und Frauen in altmodischer italienischer Tracht. Im dämmrigen Hintergrunde ein großes strahlend weißes Bett. Etwa in der Mitte von der Decke herab eine achteckige rote Ampel aus geschliffenem Glas. Rechts führen große Glasfenster die weit geöffnet sind auf eine efeuumwachsene Veranda von der Stufen hinab in den Park zu denken sind. Vom Park her flutet ununterbrochen ein breiter milchweißer Strahl glitzernden Mondlichts ins Gemach. Auf einem mit weißen Fellen überworfenen Ruhebett im Vordergrunde gegen die Veranda zu liegt lässig hingegossen Silvia. Sie ist im losen Nachtgewand das sie in licht rosenfarbnen Tönen umflutet. Ihr langes goldblondes Haar rieselt in dichten Strähnen über ihr Gewand. Sie liegt regungslos und scheint mit weitgeöffneten Augen ins Leere zu schauen. Es ist kurz vor Mitternacht. Vom Park her klingen zuweilen gedämpft die süßen Stimmen der Nacht.

Kurz nach Beginn der Szene gleitet Bianca leise von der Tür links auf Silvia zu. Sie ist gehüllt in ein langes schneeweißes Nachtgewand über das ihr dunkelbraunes Haar fällt.)

[222]

Silvia

(mit der fast ausdruckslosen Sprache einer Nachtwandlerin)


Und da die Nacht aus goldnen Wolken sank
und grün der Mond sich hob von dunklen Bäumen
fuhr jäh sie auf aus dumpfer Rast und Träumen –
und ging indes ihr Auge gierig trank
den süßen Duft des Mondes in das Dunkel
und ließ der Kindheit Spiel und Glück und Lieder
und ging ...
bis fern des Schlosses Lichtgefunkel
erlosch: da warf sie tief ins Gras sich nieder
und lauschte zitternd wie mit seliger Macht
die Blätter rauschten und die Quellen sangen
und brünstig schluchzend fern in dunklen Hainen
auf Marmorbecken stille Brunnen sprangen
und ihren Leib durchschauerte ein Weinen ...
und eine Sehnsucht war in ihr erwacht ...
Und tiefer glitt von Zweig zu Zweig die Nacht.
Des Laubes Flüstern klang im Nachtwind kaum.
Vom Beet her stieg das Atmen der Violen:
Das war wie Liebesstammeln – heiß verstohlen
und hüllte alles tief in schwere Pracht
und müder Sehnsucht dämmrig süßen Traum ...

Bianca

(die während der letzten Worte ganz nahe an Silvia herangetreten ist und ihr leise mit der Hand übers Haar streicht)


Ich hörte dunkler Geigen wehen Klang
in späten Nächten wenn auf allen Wegen
die Blätter starben in versprühtem Regen –
[223]
wie leises Weinen bebte tief ihr Sang ...

Silvia

Bianca du? Was ist's? Kam schon der Tag?
Bianca

Du träumst Geliebte! Purpurrauschend weht
der schwüle Hauch der Nacht von Beet zu Beet.
Silvia

Wie schwer und süß der leise Sommerwind
den Duft des Gartens in das Zimmer spült:
Ein dunkles Sehnen hat mich wachgewühlt –
als ob ein groß Geschick die Nacht mir brächte
ein ziellos fremdes heißes dunkles Sehnen –
Bianca

Du kennst noch nicht den Zauber unsrer Nächte:
Sie sind wie Lieder lockender Sirenen
duftend wie Wein aus schweren Südlandsreben
der purpurn schäumt in blassen Goldpokalen
wie jähe Flammen in kristallnen Schalen
die an Altären rot im Nachtwind beben.
Silvia

Ich lag betäubt die Lider halb geschlossen.
Des Mondes weiße warme Wellen flossen
voll ins Gemach das düftetrunken schlief
vom roten Ampellicht seltsam umgossen
und aus des Parkes Schattengründen tief
stieg ein Gewirr von heißen scheuen Stimmen
das weich in schweren Rhythmen mich umspann.
Huschende Lichter sah ich schwebend glimmen
und klingend löschen. Jäh durchrann
ein seltsam Feuer mich als ob im Wiegen
[224]
der dunklen Stimmen die im Nachtwind glitten
aus morschen Grüften weiße Leiber stiegen
und tönend leuchtend füllte das Gemach
sich rings mit leisen unsichtbaren Tritten
daraus es wie ein Locken zu mir sprach –
Da riß mich's auf: Und bebend trat ich nah
und sah im Wind des roten Laubes Spiel
und atmete den Duft der Nacht. Und sah
die Beete rings von silberglänzgem Schaum
betaut. Und schauerte und schluchzte auf und fiel.
Und meine Seele sank in tiefen Traum.

Bianca
(hat Silvia leise, mit den Händen stützend, gegen die Veranda geführt)

Sieh wie aus flaumig-feuchtem Glanz die schlanken
Zypressenreihn gleich blauen Schemen tauchen
mit blassen Stämmen licht wie Frühlingsranken
durchsichtig zart als wollten sie im matten
nebligen Duft sich lösen und verrauchen –
Silvia

Dämmernde Stimmen steigen aus den Schatten.
Ist es die Nacht die tief im Traum erbebt
ist es ein Tanz der fern auf Wiesen schwebt
von weißen Nymphen und behaarten Faunen?
Bianca

Das ist der alten Marmorbrunnen Raunen
das seltsam hinter dunklen Büschen webt.
Es rinnt ein Hauch von wilden grenzenlosen
Sehnsüchten durch den Einklang dieser Lieder
und ringsum strömt und glüht der weiße Flieder
[225]
und mischt betäubend sich dem Duft der Rosen.
Wenn weit die grauen Stämme dampfend gluten
wie rotgeschweißtes Erz scharlachumronnen
und alle Brunnen funkenübersponnen
in heißen Güssen schluchzend sich verbluten –
in schwülen Nächten wenn der Mond den feuchten
flaumweichen Leib schauernd im Wasser kühlt
und bunt vom Wellenflirren aufgespült
Millionen Tropfen perlenschillernd leuchten –
dann tönt so wund und weh ihr dunkles Rauschen
wie Regen der auf welke Blätter rinnt
wie eine Seele die im Finstern sinnt ...
dann könnt ich Stunden ihrem Singen lauschen.
Silvia

Wie seltsam! Will des Mondes Dampf mich trügen?
Durch schwarzer Büsche laubverrankte Ritzen
züngelt ein Glanz glimmert ein fahles Blitzen
aus Nacht und Duft schält leuchtend sich ein Leib –
ein weißes nacktes wundervolles Weib –
grün liegt das Mondlicht auf den starren Zügen ...
Bianca

Ein stiller Gruß aus uralt goldnen Tagen:
Ein Venusbild im Chor dunkler Zypressen
efeuumwuchert morsch vom Tau zerfressen
zerwühlt von Rissen die der Blitz geschlagen.
Silvia

Wie weiß die Mondesstreifen sie umsäumen!
Und in der Nelkendüfte nacktem Schweben
durchfröstelt ihren Leib ein brünstig Beben:
Die Sommernacht küßt sie aus langen Träumen.
[226]
Sieh wie im blassen Licht ihr Auge blinkt
wie ihre Arme weich und warm sich biegen
und wie die Lippen leis ein Lächeln wiegen
und wie sie grüßend nickt und winkt
und wie der Mund sich zitternd öffnet – spricht –
wie Glockenläuten – siehst du's hörst du's nicht?
Bianca

Dich trügt die Ferne und des Mondes Flirren.
Silvia

Und braust dir nicht durchs Blut dies heiße Schwirren
und fühlst du tausend Flammen nicht sich schaukeln
und Rosenduft bacchantisch dich umgaukeln
und liebeskranker Flöten tolles Girren?
Ein Wunder! Sieh: durch steinern starre Glieder
stürmt eine Röte. Sie erglühen schwellen
wie Firnen überströmt von Morgenwellen.
Blau blitzt die Luft. Der alte Marmor zittert
in leisem Läuten unter seidnen Tritten
die Fernen funkeln sommerglanzumwittert.
Sie ist's. Sie fährt zum Glühen trunkner Geigen
durch nackter Paare laubumstrickten Reigen.
Von purpurüberblühten Rosenhängen
perlt es wie Duft von brausenden Gesängen.
Sie ist's! Du bist's! Du selber selber bist's!
Um deine weiße Stirne funkelnd flicht
sich wirr ein Kranz tauiger Rosenblüten
als Diadem. Heiß aus den Augen bricht
dir ein Geleucht. Und deine Lippen hüten
ein Königinnenlächeln. Unter deinen Füßen
scheint rings der Estrich von Musik zu schwellen
[227]
im feuchten Duft des Mondes der mit hellen
Glanzlichtern dich umgießt. Und deine süßen
flaumweichen Glieder beben noch von Traum
und Dämmer. Heilige! Königin!
Frau Venus! Selige Göttin! Nimm mich hin!
(Sie wirft sich wie ohnmächtig in Biancas Arme)
Bianca

Du Süße! wie du flammst und bebst und glühst
und taumelst wie von duftendem Weine trunken.
Der Stunde Rausch ist über dich gesunken:
Das hat dies Glänzen in dein Aug gelegt
dies durstige Glänzen roter Sommerwiesen
vor Regenschauern. Wie dein Mund sich regt
als wollt im Liebesstammeln er zerfließen.
Geliebte! In den Haaren glimmt ein Leuchten
dir weich wie Irrlichtnebel über feuchten
mondfahlen Teichen. Deine dunklen Lider
haben den Schein von wilden Rosenranken
die rot um weiße Marmorbilder schwanken,
und durch die schlanken heißen jungen Glieder
flutet ein Beben wie in goldnen Strängen
von Wetterharfen die vom Glanz gestreichelt
der Sommernacht in dämmernden Gesängen
aufschauernd weinen silberlichtumschmeichelt ...
Silvia

Sprich weiter weiter! Deine Worte fließen
von Glanz und Duft wie köstlich starke Salben.
Wie rote Rosen sind sie die im falben
Lichtschein des Tages dämmerselig schliefen
und wachend ihres Blutes Glanz versprühen
[228]
wie Falter sind sie die die Nacht umglühen
im weichen Schmelz der Flügel und im Wiegen
des Nachtwinds bunt wie Blütenflocken fliegen ...
O lauschen will ich der Musik die rings aus dir
herniederströmt aus Haar und Mund und Augen
und will ihr perlend Gold tief in mich saugen
wie ein Verdurstender. Denn sieh: Ich war allein –
so einsam daß mich meiner Stimme Klang
erschauern machte wenn's aus schwerem Schlaf mich riß.
Und all mein Wandel war nur Finsternis
und Traum der Nächte heiß von wildem Drang
nach Leben. Und nun bin ich jäh erwacht:
Nun strahlt die Sonne und das Leben lacht!
Bianca

O still – laß tief mich durch die weichen Linnen
die deine jungen Brüste überrinnen
wie laue Flut dampfend von warmem Leben
den Duft des Fleisches atmen und sein zuckend Beben
glühend betasten. Und das heiße dunkle Blut
das in Akkorden stürmisch junger Kraft
durch diese Adern wittert gleich dem Saft
der schäumend klar in Frühlingsbirken ruht –
und diesen Leib so voll und stark und schlank
und weich der sich nach Liebestaumeln sehnt
in wilden Nächten und sich schauernd dehnt
im Rausch von Wonnen die ein Träumen trank –
Silvia

Genug –
Bianca

Der blonden Haare wild Gerank
[229]
fließt von den Schultern dir wie ein Geschmeide
mit dem du deinen nackten Leib geschmückt
zur Brautnacht. Durch den feuchten Glanz der Seide
die wie ein Kranz von Rosen leuchtet zückt
die blanke kühle Haut in mattem Glanz –
Silvia

Genug – du tötest mich –
Bianca

O laß mich ganz
den Leib mit meiner Arme Glut umspinnen
und diese Lippen tief wie scharfen Stahl
in deine Glieder tauchen. Und das blutige Mal
mit meinem Leibe kühlen. Bis der Quell versiegt
und Morgenrot auf matten Gliedern liegt.
Silvia

Genug! Ich sterbe! Ich vergehe! Sieh –
wie sich ein Blütenkelch fröstelnd zur Sonne streckt
die ihn in heißer Küsse Rausch glühend erweckt
und glühend tötet wie ein Falter der
das süße Gift der Blütendolden trinkt
bis taumelnd er im schweren Duft versinkt
wie die Bacchantin die zu roter Fackeln Licht
aufglühend tanzt und tanzt bis zuckend sie zusammenbricht –
stürzt meine Jugend jauchzend dir entgegen
mein glühend Blut in funkelnd heißen Güssen:
Töte mich Wilde! Töte mich mit deinen Küssen!

Bianca
(heiß und heimlich)

O komm! Das Leben bräutlich glühend winkt
uns zu und lockt. Die Fesseln sind zerrissen
[230]
und aus dem rötlich matten Dämmer blinkt
wie Gold das Bett mit glutzerwühlten Kissen.
Hörst du des Windes Wiegen in den Zweigen
und brünstig dunkle Stimmen schwüler Nacht
und Geigenklang? Das ist der Hochzeitsreigen
der uns mit Spiel und Singen heimgebracht.
Fühlst du das Leuchten das am Estrich schaukelt
von spätem Ampelglühen und den Glanz
des weißen Monds? Das ist der Fackeltanz
der unsre Liebesnacht flatternd umgaukelt.
Komm Liebste! Komm! Auf meinen Armen will
ich zitternd dich in süßes Dunkel tragen
und um die Schauer junger Glut soll still
und weich die Nacht die schweren Schleier schlagen.
[231]

Notes
Erstdruck in: Das Magazin für Literatur, Jg. 73, Nr. 4, Februar 1904.
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TextGrid Repository (2012). Stadler, Ernst. Freundinnen. Ein Spiel. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-152F-B