Das Stäbchen.
Verändert nach einem bekannten Mährchen.
Röschen hatte nicht gesponnen, sondern war im Walde spazieren gegangen. Die erzürnte Mutter schalt und schmälte eben über den Unfleiß der Tochter, als der König vorbeiritt. Er hielt sein Pferd an, und fragte die Frau, warum sie so zanke? Spöttisch erwiederte sie: »ich schelte meine Tochter, daß sie so übermäßig fleißig ist.« Sie spinnt sich fast zu Tode. Der König erzählte das Gehörte bei seiner Zurückkunft seiner Gemahlin, und diese schickte sogleich hin und ließ das fleißige Mädchen holen und vor sich führen. Ich [85] hörte, sprach sie, daß du dich fast zu Tode arbeitest, und da ich eine Liebhaberin von feinem Garn und schönen Gewebe bin, so will ich dich bei mir behalten, da kannst du spinnen so viel du magst, mir wird es nie zu viel seyn. Röschen erschrack entsetzlich, und versicherte hoch und theuer, es sei der Mutter Ernst nicht gewesen, sie habe ihrer nur gespottet. Es half nichts, und auf Befehl der Königin, ward ihr eine ungeheure Menge Flachs und ein Spinnrad gebracht. So schön es auch war, so zerfloß doch Röschen fast in Thränen, und nun die Aeußerung der Königin, sie könne nie zu viel spinnen. Nein das war nicht auszuhalten. Sie spann und spann den ersten Tag; es sollte aber das Gespinnste so fein als das ihr zum Muster gegebene werden, so brachte sie nicht viel zusammen. Traurig schlich sie in später Abendstunde ins Wäldchen am Garten und warf sich weinend auf die Erde. O wäre ich nur wieder im Hüttchen bei der Mutter, seufzte sie, wie gerne wollte ich da spinnen; da durfte ich doch nach der Arbeit im Garten umher laufen und im Walde. Hier soll ich ewig spinnen, spinnen, und nichts als spinnen! Plötzlich stand ein garstiger Zwerg vor ihr und fragte mit einem ganz feinen Stimmchen, was ihr fehlte, daß sie so weinte? Sie erschrack anfänglich, doch [86] ward sie beherzter und erzählte ihm ihren Kummer. Wenn's weiter nichts ist, meinte er, da kann ich schon helfen, aber unter Bedingungen. Sieh hier das Stäbchen in meiner Hand, das setzt dein Rad in Bewegung und du kannst indessen spazieren gehen. Doch nur auf drei Monate bekommst du es, dann bringe es wieder an diesen Ort her. Ich nenne dir jetzt einen Namen, Gebhard, merke ihn wohl, und hast du ihn dann vergessen, so mußt du mit mir gehen. Weißt du ihn aber noch, so gehört das Stäbchen dir ganz. Röschen hüpfte hoch auf vor Freuden und empfing eiligst die willkommene Gabe. O, dachte sie, wenns weiter nichts ist! den Namen vergeß ich nicht. Fort lief sie und setzte sogleich das Rädchen in Bewegung. Es drehte sich pfeilschnell und lief die ganze Nacht fort, so daß sie am andern Tage der Königin eine ansehnliche Menge des feinsten und schönsten Gespinnes, wie das der Spinne, übergeben konnte. Ein Geschenk ward ihr dafür, sie zum Fleiße aufzumuntern. Nun ging die Sache ganz gut. Röschen konnte wieder spazieren gehen, ohne etwas zu versäumen, doch that sie das nicht immer, sondern spann auch auf einem andern Rädchen selbst, ohne Beihülfe des wunderbaren Stäbchens. Endlich neigte sich die bestimmte Zeit zu Ende und mit [87] Schrecken fand Röschen, daß sie alles Nachsinnens ungeachtet, nicht mehr den Namen des Zwerges herausbringen könne. Sie sann und sann, vom frühen Morgen bis in die Nacht, es half nichts. Nun beweinte sie ihr leichtsinniges Vergessen, aber zu spät. So vorsichtig war sie wohl, noch ein Rad durch Hülfe des Stabes in Bewegung zu setzen, und sich mit einer Menge von Garn für die Zukunft zu versorgen, wenn etwa der garstige Zwerg sich erbieten ließe, sie noch da zu lassen; doch war das eine schwache, ungewisse Hoffnung, auf die nicht viel zu bauen war. Am vorletzten Tage überbrachte sie der Königin Garn, und kaum war sie da, als der Kronprinz auch dort erschien, und seiner Mutter erzählte, er habe sich am vorigen Abende verirret, als er von der Jagd heimkehren wollte. So kam er in ein altes zerfallnes Schloß. Da es stark regnete und sehr finster war, beschloß er daselbst über Nacht zu bleiben, weil einige Thürme und Mauern ihm noch Schutz zu versprechen schienen. Er befestigte sein Pferd an den Thorring mit dem Zügel und betrat den Schloßhof. Da schimmerte ihm helles Licht entgegen. Erstaunt diese verödete Wohnung bewohnt zu sehen, ging er dahin, wo es her kam, sahe durch das Fenster, zu dem er auf einen ungeheuren Schutthaufen [88] heranklimmen konnte, in das Gemach, aus dem die Hellung kam, und erblickte mit Entsetzen und Grausen, eine große Anzahl kleiner, garstiger Zwerge, die schmausend an einer langen Tafel lustig plauderten. Sie erzählten einander ihre Schelmenstreiche und einer unter ihnen, der vorzüglich wohlgelaunt schien, sang immer:
Der Prinz merkte das alles wohl und lauschte bis Mitternacht vorbei war. Da krähte der Hahn, die Gesellschaft fuhr husch, husch, oben hinaus, die Lichter erloschen, und Todesstille war rings umher. Beim Anbruche der Morgendämmerung verließ der Prinz das schaurige Nachtquartier, und suchte sich aus dem Dickicht zu winden. So kam er glücklich nach Hause und ging sogleich zur Königin, sie über sein Ausbleiben zu beruhigen. Röschen horchte hoch auf bei seiner Erzählung und konnte sich vor Freuden kaum fassen, als sie [89] den vergeßnen Namen nennen hörte. Sie ging, sobald als es möglich war, in ihre kleine Werkstatt und schrieb den Namen Gebhard wohl zwanzigmal auf. Am andern Abend machte sie sich getrost auf den Weg ins Wäldchen. Nicht lange so erschien der Zwerg, grinsend vor Freude. Sie reichte ihm eiligst den Stab und rief: Gebhard, hier ist dein Stäbchen! Er schnitt ein klägliches Gesicht und verschwand. Singend und hüpfend kehrte Röschen heim und ging gerade zur Königin. Da gestand sie ihr ihre ganze Begebenheit, gab ihr das Stäbchen und erbat sich dafür die Freiheit zur Mutter heimkehren zu dürfen. Voll Erstaunen horchte die Königin, dann stellte sie eine Probe an, und siehe da, Röschen hatte Recht. Sie bekam eine ansehnliche Belohnung, die dem Werthe des Stäbchens gleich war, und durfte nach Hause, wo sie von nun an, durch Angst und Schrecken gewarnt, fleißig arbeitete und nicht mehr leichtsinnig war.