6. Vergeblich verwachstu die Liebe

1.
Alter/ ich muß deiner lachen/
daß du wilt des Amors Gluht
durch dein Auffsehn kälter machen/
Liebe tuht doch/ wie sie tuht.
[155]
Wacht man sie/ sie birgt ihr Feuer
stellet sich wol gar als Haß/
Griffgen sind bey ihr nicht teuer.
Du verbeutst/ und weist nicht was.
2.
Sie weiß mich doch wol zu halten
meine schönste Argine.
Du magst wie du wilst verwalten
Wächters Amt. Uns thut nicht weh:
daß du uns mit deinem schleichen
manche schöne Lust nimst hin/
Ich und Sie kan doch erreichen/
was beliebet unsern Sinn.
3.
Magstu wol so viel verhüten/
daß ich Sie nicht sprech' allein.
Dein so Argwohn-volles Wüten/
kan es auch genugsam sein:
daß sie mir nicht manches Stündchen/
wenn/ du Gramhafft/ nicht bist dar/
gönn' ihr zartes Wollen-mündchen
sonder schelten und Gefahr.
4.
Nu nur hielt' ich sie umfangen/
mein Mund küßet' ihren Mund/
Ihre Wangen meine Wangen:
Weistu das auff diese Stund'?
Ach! was woltestu doch rathen/
was auff einen Abend spat
in geheim wir beyde tahten/
als sie mich/ wie folget baht.
[156] 5.
Herzgen/ wo ich so darff nennen
dich mein allertrautstes Kind/
kanstu meine Brunst erkennen
die sich täglich mehr entzündt.
Ey/ so linder meine Flammen
laß mich deine Liebste sein.
Iezt sind wir allein beysammen
was du wilst/ räum' ich dir ein.
6.
Drauff entblößte sie die Gassen
ihrer weissen Silber-Brust/
ach! was gab mir ihr umfassen
für viel tausend Götter-Lust!
Ich drukkt' ihr/ Sie mir die Hände/
und beküßten uns auffs neu.
Wir versprachen sonder Ende
uns mit Schwüren stete Treu.
7.
Nu/ was denkstu/ wenn damahlen
ich ihr hätte gut gemacht/
was Verliebte können zahlen/
hättestu sie auch bewacht?
darum laß uns nach Vergnügen/
Alter/ lieben sonder Wehr/
wolt' ich sie/ wie dich/ betriegen:
hättstu wol ein Kind noch mehr.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Stieler, Kaspar. 6. Vergeblich verwachstu die Liebe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-16FF-6