[288] [296]An meinen Urneffen, den Grafen Christian zu Ranzau, an seinem neunzehnten Geburtstage

1814.


Eingeschrieben in ein Exemplar der »Schauspiele mit Chören.«


Frei wie von Morgen wehn und von Abend die Lüfte des Himmels,
Athmet Aurora's Hauch, säuselt um Flora ihr West,
Also spielen umher die freien Gaben der Muse,
Die kein Sterblicher je, grübelnd und keichend erwarb.
Ruhend im Duft und im Labsal der sommernächtlichen Stille,
Sanft auf des Mooses Flaum, schlummert' Endymion einst,
Phöbe erblickt ihn vom blauen Gewölbe, leis' in der Jungfrau
Keuschem Busen erglimmt sehnender Liebe Gefühl;
Schüchtern neiget und neigt sich und nahet sie näher und näher,
Bis auf des Jünglings Mund athmet ihr himmlischer Kuß.
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Bande des Schlummers umschlingen Endymion, doch es umschweben,
Wie aus Elysiums Hain, Träume der Seligen ihn.
Phöbus stieg aus dem Schooße der Thetis. Erbleichend verbarg sich
Phöbe. Des Glücklichen Aug' öffnet sich, staunet umher;
Sonn' und Morgenschimmer und Meer und Wald und Gestade,
Murmelnder Bach im Thal, Alles ist hehr ihm und neu,
Fülle des wallenden Herzens beseelet ihm Alles mit Leben,
Hügel und Ros' und Gewölk – Freundinn ist Nachtigall ihm!
Also spendet auch Jene die Gaben, es ahnet dem Liebling
Nicht, wenn die Muse das Haupt ihm mit dem Lorbeer bekränzt –
Ward auch mir ein Blättchen des Daphne-Baumes, so ist's nicht
Garbe des Fleißes, nur Ihr dank' ich das Wiegengeschenk.
Einst umgürtete mir mit zarten Händen die Sohlen
Sie, und ich wagt' es, einher schritt ich auf hohem Kothurn.
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Mein Getön' und was Sie in süßer Umarmungen Zauber
Flüsterte Ihm, der mir ist mehr noch als Bruder und Freund,
Nimm es zum Angebinde mein Söhnlein! –Siehe das Alter
Ist redselig, und schon eifr' ich dem Nestor ja nach.
War nicht Er, deß Enkel Du bist, mein Lebensgefährte?
Ach, mein Bernstorff! Er, von Millionen beweint!
Bernstorff! Er, dem wie wenigen Auserwählten, in Fülle
So des Schöpfers Hauch Weihe des Himmels verlieh! –
Höre nun! Wird's Dir im Herzen so warm, so voll und so drängend,
Steigt aus der Tiefe Dir Stern, Stern und Gestirn Dir empor,
Dann ist nicht ferne die süße Sängerinn! Lausche dem Fittig',
Oeffne das Pförtchen und führ' ein in das Kämmerchen Sie!
Einsam die Einsame! – Rauscht dir im Taubenschlag oben Gewimmel,
Laß in die Wildniß hinaus flattern den luftigen Schwarm!
Jene stammt aus Göttergeschlecht, und vom höherenEins ist
Noth! – verscherzte sie's nicht – fiel ihr ein Perlchen anheim!

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TextGrid Repository (2012). Stolberg, Christian Graf zu. Gedichte. Gedichte. Den Grafen Christian zu Ranzau. Den Grafen Christian zu Ranzau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1985-D