[224] [241]An meinen Bruder

1779.


Tönet Dir, tönt Dir ohne Täuschung, lieblich
Wie der Nachtigall Lied, des Todes Name,
Und wird Dir sein rauschender naher Fittig
Schwanenflug tönen?
Blumen umkränzen, wie sie Dir nur blühen,
Deine wallenden Locken, und den Becher,
Den mit Götterwein die Natur Dir immer
Schäumender anfüllt:
Blumen des Bachs, der Wiese pflückt die Freundschaft
Dir, den stolzeren Lorbeer Dir die Muse,
Bald auch wird (schon röthelt ihr Rosenknöspchen!)
Liebe Dich kränzen.
[241]
Aber, o wähnst Du, daß der Liebe Rose,
Selbst der süßesten Liebe, wenn nun endlich,
Athemlos, mit schmachtendem, feuchten Auge,
Bebenden Lippen,
Die sich zu matten, halbgeküßten Küssen
Kaum zu schließen vermögen, ach! an Deinem
Trunknen Busen, sie, die Du liebest, die Dich
Liebet, dahin sinkt;
Wähnst Du, sie dufte, diese Rose, stärker
Als das Rankengewebe, das, mit tausend
Armen, uns, und kräuselnden Sprossen, fester
Stets uns umschlinget?
Aufgang der Sonne flammet Dir des Todes
Fackel? Sie, die der Ranken keiner schonen
Und austrocknen würde die Borne meines
Lechzenden Lebens?
Daß, den Du wünschest, ich nicht fürchte, weißt Du!
Kanntest lange den Durst in meinem Herzen,
Heldentod einst in der gerechten Feldschlacht
Blutig zu sterben!
[242]
Siehe, schon schwebt er! – Ha! ich kenne deines
Fittigs Todesgesang! Mich schreckt nicht, Droher,
Deine Rechte! Trennung von meinen Lieben,
Droher, die schreckt mich!
Leben, o leben will ich! schwebt gleich manches
Trübe Wölkchen heran, ihr Schwestern, Freunde,
Leben! Mein braunlockiges Weib, mein Bruder,
Leben, o leben!
Aber wenn – doch der Menschheit Loos verbeut es!
Wenn zugleich dem vertrauten Häuflein winkte
Er, der Ruhegeber; ich säh' ihn, lächelnd:
»Bruder, er schreckt nicht!«

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TextGrid Repository (2012). Stolberg, Christian Graf zu. Gedichte. Gedichte. An meinen Bruder. An meinen Bruder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-19AE-2