[98] An die Zarten

Werde ruhig, werde friedlich,
Laß den Schlachtgesang vertosen,
Singe niedlich und gemütlich,
Statt mit Blute, schreib' mit Rosen,
Laß die Schwerter in der Scheide,
Und den Helmsturz laß am Nagel,
Laß die Pferde auf der Weide
Und vergiß den Lanzenhagel.
Laß die Hiebe ungerochen
Und die Herzen unerschüttert,
Laß die Schädel unzerbrochen
Und die Raben ungefüttert!
Was Du singst vom Heldentume,
Ist gemacht und ist Manier,
Singe von der Gänseblume,
Die Natur, die lieben wir;
Von dem Kalb, das hingegossen
Unter Blumen wiederkäut,
Aber nicht von wilden Rossen,
Deren Nüster schnaubt nach Streit.
Von Damöt, dem Schäferknechte,
Der auf seiner Syrinx pfeift,
Nicht vom Helden, dessen Rechte
Nach dem Stern der Ehre greift.
Willst Du Dich verliebt gebaren,
Nun so liebe nach der Mode,
Lärme nicht von Kampfgefahren
Und von tausendfachem Tode.
Jedes Löckchen, jedes Grübchen
Werde flugs Dir zum Gedichte,
Um die Schläfe Deinem Liebchen
Winde Du Vergißmeinnichte.
Von verschmachtendem Entfernen,
Nicht von trotziger Entführung,
Sing' von Blumen, sing' von Sternen,
Und zerschmilz vor lauter Rührung! –
[99]
– Ich bedaure sehr, Ihr Guten,
Ein'ge Jährchen müßt Ihr harren,
Bis verlöscht die jungen Gluten
Und verkohlt mein toller Sparren.
Singt indessen meinethalben
Eure zarten Leberreimchen,
Vom Gezwitscher junger Schwalben
Und vom Klagelied der Heimchen.
Ja! Besingt im Gras die Veilchen
Und am Bach die alten Weiden,
Aber gönnt mir's noch ein Weilchen,
Mich in rauhern Stoff zu kleiden.
Was Ihr stets ins Ohr mir flüstert,
Was Ihr scheltet die Manier,
Seht, das ist mit mir verschwistert,
Ist erzeugt, erstarkt in mir.
Gleich dem frommen Pelikane
Tränkt' ich's mit dem eignen Blut,
Im verwegnen Dichterwahne,
Daß es keine niedre Brut;
Daß dereinst es matt und machtlos
Nicht im Neste werde liegen,
Wenn die andern kühn und achtlos
Durchs Gewölk zur Sonne fliegen.
Seht, ich lass' Euch Eure Blümchen,
Eure Liebchen und Manierchen,
Euer wohlerworbnes Rühmchen,
Denn Ihr seid sonst gute Tierchen.
Laßt auch mich! Ich mag es leiden,
Schlägt der Fink und girrt der Tauber;
Doch aus rost'gen Degenscheiden
Klingt für mich ein eigner Zauber.
Jeder Mann nach seinem Wahne,
Ihn verfechten nenn' ich Tugend.
Jeder Mann zu seiner Fahne,
Meine Fahne sei die Jugend.

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TextGrid Repository (2012). Strachwitz, Moritz von. Gedichte. Neue Gedichte. Den Männern. An die Zarten. An die Zarten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1E21-0