[O tiefer Wald, o stiller Wald!]

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O tiefer Wald, o stiller Wald!
Was will dein Wiegen und Wogen?
Es ist, als käme ein Grabgeläut'
Durch deine Wipfel gezogen.
Im Grünen reitet Herr Edelfried,
Es zuckt sein Mund im Schmerze,
Ihm unterm Sattel stöhnt sein Roß,
Ihm innen stöhnt sein Herze!
Den Reiherbusch zerriß der Dorn,
Blut träufelt von den Sporen,
Er sucht nach seinem Elfenring,
Er hat ihn gar verloren.
Er sucht zwei Tage und eine Nacht,
Bis daß er glitt vom Rücken,
Ins Riedgras rann sein Goldgelock,
Sein Herze sprang zu Stücken.
Doch wenn er auch gestorben ist,
Ihn läßt's nicht in der Erde,
Er sucht nach seinem Elfenring,
Ob er ihn finden werde.
Bin ihm begegnet manches Mal
Im allertiefsten Walde;
Er ist so bleich, er ist so jung,
Gott schenk' ihm Ruhe balde! –
Mit meinen Reimen ging's zu End',
Und wem sie nicht gefielen,
Der geh' niemals in den Wipfelwald,
Wenn die Feien im Monde spielen.
O Jugendliebe, Elfenring,
Ich suche dich wohl mit Reue,
Du aber bist zertreten längst
Und grünst nie mehr aufs Neue!

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Strachwitz, Moritz von. [O tiefer Wald, o stiller Wald!]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1FA1-A