[194] Sonst und jetzt

Mein Lieb, die Welt ist kalt und kahl,
Die Leute träg' und trübe,
Es ist, beim Himmel, nicht einmal
Viel Spaß mehr bei der Liebe.
Wir schmachten uns von weitem an
Und küssen uns in der Nähe
Und fahren auseinander dann,
Daß keiner es erspähe.
Wenn Wolken zwischen uns sich ziehn,
So hörst Du auf, mich zu grüßen,
Und ist Dein Zorn recht weit gediehn,
So fall' ich Dir zu Füßen.
Wir lieben uns, wie es nutzt und frommt,
Damit die Welt nicht richte,
Und wenn die Sache aufs Höchste kommt,
So mach' ich schlechte Gedichte.
Wir führen uns beim Spazierengehn
Und lieben uns unendlich
Und manchmal, nun, Du mußt's gestehn,
Langweilen wir uns ganz schändlich! –
– Wie war die Zeit doch blühender,
Die Zeit der Helme und Koller!
Da waren die Weiber noch glühender,
Die Männer frischer und toller.
Da war die Liebe noch Heiligtum,
Das Schwert noch schärfer und spitzer,
Da waren die Frauen der Helden Ruhm,
Die Helden Frauenbeschützer. –
– Es streckt in die Nacht, in die Mondscheinnacht
Der Turm sein Haupt, das starre,
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Durch die Mondscheinnacht tönt liebentfacht
Das klagende Lied der Guitarre.
Die Laute schmachtet, die Laute fleht,
Der Mond wird heller und heller,
Das Fräulein auf dem Söller steht,
Der Junker unter dem Söller.
Den Turm umklettert ein Rosenstrauch
Mit Ranken schweifend und lose.
Ich weiß nicht, fiel sie vom Windeshauch,
Doch nieder fiel eine Rose. –
– Auf tausend Helmen die Sonne blitzt,
Es flattert die Scharlachfahne,
Er auf dem bäumenden Schimmel sitzt,
Sie sitzt auf hohem Altane.
Den Speer gesenkt, die Zügel verhängt,
Das Haupt auf die Faust gebogen,
So kommt er durch die Schranken gesprengt,
Die Federn nicken und wogen.
Sie faltet die Hände im Todesschreck:
»Gott sei dem Liebsten gnädig!«
Ihr Liebster wiegt sich im Sattel keck,
Des Gegners Hengst ist ledig.
Durch die Nacht, durch die mondlos finst're Nacht
Vom Fenster baumelt die Leiter,
Durch die finstere Nacht, da schreiten sacht
Zwei Rosse und ein Reiter.
Er schlägt in die Hand ein, zwei, drei Mal:
»O, Dame! steige hernieder.
Meiner Rosse Gebein ist all von Stahl,
Dein Vater kriegt uns nicht wieder!«
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Sie jagen von dannen Knie an Knie,
Im Takte setzen die Tiere,
Sein geharnischter Arm umklammert sie,
Seine Lippe berührt die ihre.
Das war die Zeit, die traurige Zeit,
Ihr wollt von ihr nichts wissen,
Indes die moderne Vortrefflichkeit
Faullenzt auf ledernen Kissen.
Das war die Zeit voll Wahn und Joch,
Die Zeit verdüstert und nachtvoll,
Das aber muß man ihr lassen doch:
Zu lieben verstand sie prachtvoll!
Das war die Zeit so rauh und roh!
Sie liegt schon lange begraben,
Wir aber jetzt, wir lieben nicht so,
Wir können's bequemer haben!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Strachwitz, Moritz von. Sonst und jetzt. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2008-C