c.

Vor vielen Jahren war der Hohe Weg, jetzt eine von jeder Flut überspülte Sandbank in der Mündung der Weser, noch festes Land und gehörte zum Kirchspiel Langwarden. Das Land war fruchtbar, und seine Bewohner so reich, daß sie ihre Pferde mit goldenen Hufeisen beschlugen und mit silbernen Pflugscharen das Land bestellten. »Vor einen Wagen mit Mist haben sie vier Schimmel gekriegt und einen großen Hund unter den Wagen.« »Der Sand, mit welchem sie den Fußboden in den Zimmern bestreuten, wurde mit Weizenmehl vermischt.« Den Siel, durch welchen sie ihr Land entwässerten, hatten sie nicht von Stein oder Holz, wie jetzt üblich, sondern von Kupfer gebaut und so fest, daß der Siel sich bis auf den heutigen Tag gehalten hat, obwohl das Land mit allen seinen Bewohnern längst von der See verschlungen ist. Niemand weiß freilich zu sagen, wo der Siel liegt, aber oft hört man hinter dem Deiche bei stillem schönen Wetter ein Brausen und Rauschen, und alte Leute behaupten, daß sei das Wasser, welches durch den Siel rausche, und das Brausen habe immer schlechtes unruhiges Wetter im Gefolge. – Die Bewohner des versunkenen Landes hatten große Macht im Kirchspiel, und der Pastor durfte nicht eher mit dem Gottesdienste beginnen, bis die »Herren vom hohen Weg,« wie sie stets genannt werden, zur Stelle gewesen sind. Der am westlichen Ende der Langwarder Kirche befindliche, jetzt zum Aufbewahren von Kirchen- und Begräbnisgerät dienende Raum wurde von den zur Kirche reitenden Herren vom hohen Wege als Pferdestall benutzt, wo die Pferde aus steinernen Krippen fraßen, und heißt noch jetzt der Pferdestall. Als einst ein Prediger es gewagt hatte, vor der Ankunft der Herren vom hohen Weg den Gottesdienst anzufangen, mußte er es mit dem [43] Leben büßen, er ward auf der Kanzel erschossen. – Überhaupt waren die Herren vom hohen Weg übermütige, gottlose Leute, und durch ihren Übermut sind sie auch zu Grunde gegangen. Einst nämlich legten sie ein Schwein, mit Frauenkleidung angetan, in ein Bett und ließen den Prediger holen, damit er einer kranken Frau das Abendmahl gebe. Als dieser den Frevel sah, bat er den lieben Gott, daß er endlich solcher Gottlosigkeit Einhalt tun wolle. Und in der nächsten Nacht gab ihm Gott durch einen Traum kund, daß er das Land durch eine Wasserflut vernichten wolle, und das Zeichen, wann die Zeit gekommen sei, solle sein, daß ein frischer glatter Aal aus dem glühenden Backofen des Pastoren kriechen werde. Kurze Zeit darauf waren die Leute des Pastoren beim Brotbacken. Der Knecht heizte den Ofen, und schon war der Ofen glühend heiß und der Knecht im Begriff, das Feuer heraus zu ziehen, um das Brot hinein zu schieben, als zu seinem Schrecken ein frischer glatter Aal sich vom hintern Ende des Backofens nach der Mündung schlängelte. Rasch lief der Knecht ins Haus und erzählte das Wunder seinem Herrn. Dieser befahl, schnell die Pferde vor den Wagen zu spannen und alles andere liegen zu lassen. Kaum war der Befehl ausgeführt und der Wagen bestiegen, da drangen auch schon von Norden her die Meeresfluten heran, und mit Mühe und Not gelangte der Prediger mit den Seinen, stets von den nachstürzenden Wogen bedrängt, endlich auf einen Hügel bei Tossens, wo sie vor dem ungestümen Wasser geborgen waren. Dieser Hügel heißt seitdem die Burgenburg. »Als der Pastor die Flucht begann, erhielt er samt seinen Leuten die Weisung, daß niemand auf der Flucht sich umsehen dürfe. Die Frau (Magd?) aber übertrat das Verbot, blickte um sich und sah, wie das Wasser ganz nahe hinter dem Wagen herfloß und alles Land versank, sogleich aber erhielt sie von unsichtbarer Hand einen Schlag auf die Backe, die sofort schwarz wurde.« Wie die See in ihre Grenzen zurücktrat, waren die Herren vom hohen Weg mit ihrem gesegneten fruchtbaren Lande verschwunden; nur eine Sandbank ist übrig geblieben, von allen Schiffen, zumal den größeren, sorglich gemieden, da schon manches Schiff und manches Menschenleben darauf verloren gegangen. (Die viel erzählte Sage ist wesentlich nach einer einzelnen Mitteilung gegeben, die aus anderen Darstellungen entnommenen Einschaltungen sind durch Gänsefüßchen bezeichnet. Fortsetzungen zur Deutung von Ortsnamen s. 584 d.) – Vor längerer Zeit [44] kam ein Schiff auf den »Hohen Weg« und warf den Anker aus. Als man weiterfahren wollte und der Anker nicht loszubringen war, bewog der Kapitän einen Schwarzen, hinabzutauchen und nach der Ursache zu sehen. Dieser kam zurück mit der Nachricht, der Anker habe sich festgehakt in der Türe einer am Boden der See befindlichen Kirche, die voll von kostbaren goldenen und silbernen Geräten sei. Er habe den Anker nicht losmachen können, weil ein großer schwarzer Hund die Türe bewache. Der Schwarze ließ sich bereden, noch einmal hinabzutauchen und von den Schätzen zu holen. Er kam nicht wieder nach oben, eine große Blutlache auf dem Wasser meldete, was ihm widerfahren. Das Schiff aber kappte den Anker und segelte rasch von dem unheimlichen Orte fort.

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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. Sagen. Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Erster Band. Erstes Buch. Zweiter Abschnitt. 34.. c. [Vor vielen Jahren war der Hohe Weg, jetzt eine von jeder Flut überspülte]. c. [Vor vielen Jahren war der Hohe Weg, jetzt eine von jeder Flut überspülte]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-233E-9