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Als die Einwohner von Holtwede einst in der Ernte beschäftigt waren, kam ein Fremder und gewahrte, daß jene alles Korn mit einem Messer abschnitten. »Ah«, sagte er, »so nehmet doch eine Sichel, dann könnt ihr ja weit mehr und auch besser abschneiden.« Die Holtweder aber wußten nicht, was eine Sichel sei. Da versprach er, ihnen am folgenden Tage eine zu bringen. Als er nun am andern Morgen mit einer Sichel wiederkam, ging das ganze Dorf mit hinaus, und[436] wie er nun anfing zu mähen, staunten alle und meinten, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Als er eine zeitlang gemäht hatte, nahm er einen Streicher und strich die Sichel. »Was soll das?« fragten die Holtweder. »Ja«, erwiderte er, »wenn es nicht mehr will, dann muß man es streichen, dann beißt es wieder.« Die Holtweder waren sehr froh, daß sie die Sichel kennen gelernt hatten, kauften ihm die Sichel ab und gaben ihm so viel Geld dafür, als er nur verlangte. Als nun der Fremde fort war, fing einer, welcher ihm genau zugesehen hatte, an zu mähen, und es ging sehr gut. Aber bald wollte es nicht mehr so recht. Da dachte er: »Nun mußt du streichen«; weil er aber meinte, der Mann habe dies mit der Hand getan, so strich er mit der Hand an der Schneide und schnitt sich tüchtig. Da fing er an zu schreien und rief: »He bitt, he bitt!« warf die Sichel weg und lief davon. Da sagte ein anderer, welcher sich klüger dünkte: »Ich will es euch zeigen«, und strich mit der Hand kräftig vorüber. Aber es ging ihm nicht besser, sondern schlimmer; er hatte sich die ganze Hand zerschnitten. Er warf die Sichel weg, rief: »O Gott, he bitt!« und lief davon, was er nur laufen konnte. Als das die übrigen sahen, liefen sie alle hintereinander weg und schrieen und lärmten, denn jeder meinte, die Sichel werde nachkommen und ihn auch beißen. Der Fremde, welcher das Schreien und Rufen hörte, kam wieder um und wollte sehen, was da los sei; aber auf all sein Fragen erhielt er immer nur zur Antwort: »He bitt, he bitt!« Als er sich wieder umwandte, um seinen Weg fortzusetzen, ermannten sich indes die Holtweder und baten ihn, er möge doch das Ding wieder mitnehmen. Erst wollte der Fremde nicht und sagte: »Ihr habt es gekauft«, bis sie ihm zuletzt noch Geld dazu boten; da nahm er die Sichel und ging fort, mußte aber zuvor noch versprechen, daß er nie wieder mit dem Dinge ins Dorf kommen wolle.

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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. Sagen. Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Zweiter Band. Viertes Buch. 615. Krähwinkeleien. r. [Als die Einwohner von Holtwede einst in der Ernte beschäftigt waren]. r. [Als die Einwohner von Holtwede einst in der Ernte beschäftigt waren]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2460-6